Projekt Kehrichtverbrennungsanlage Thun
HOME WHAT'S NEW ARCHIVES GUESTBOOK

PRO REGIO THUN, 6. Februar 2000
Fehlplanung Projekt Kehrichtverbrennungsanlage KVA Thun

Herrn Bundesrat
Moritz Leuenberger
Bundeshaus
3003 Bern

Fehlplanung Projekt Kehrichtverbrennungsanlage KVA Thun
Gesuch um Erstellung einer neutralen KVA Kapazitäts- und Bedarfsstudie


Sehr geehrter Herr Bundesrat

Wie Ihnen bekannt sein dürfte, wird das Projekt des Neubaus einer KVA in Thun nach wie vor von einer deutlichen Mehrheit der Thuner Einwohnerschaft abgelehnt. Entsprechende Beschwerdeverfahren sind hängig. Nach dem Scheitern des fehlgeplanten ersten Projekts Kehrichtverbrennung SBA am selben Standort haben die sowohl für das Debakel "SBA Thun" als auch für das neue Projekt "KVA Thun" zuständigen Fachstellen und verantwortlichen Personen ihre Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung verloren.

Wie wir heute feststellen müssen, herrschen insbesondere unter den Abfall-Fachleuten diametral entgegengesetzte Auffassungen betreffend einem allfälligen dringlichen Bedarf von neuen Anlagen, bzw. der Verfügung über Kapazität in bestehenden KVA. Gerade in den vergangenen 12 Monaten haben sich die Aussagen der Experten deutlich widersprochen.

Wir dürfen erinnern:

Neue Zürcher Zeitung, 27. Januar 1999
"Die geplanten Kehrichtverbrennungsanlagen im Tessin und in Thun sollten bis auf weiteres nicht gebaut werden. Zu diesem Schluss kommt ein Expertengutachten, das der Preisüberwacher Werner Marti in Auftrag gegeben hat. ...
... Die Schlussfolgerung des (mit der Expertise beauftragten) Büros Infras, Zürich, lautet: "Eine realistische Planung nimmt zurzeit und bis auf weiteres aus ökonomischen Gründen Abstand vom Bau der KVA Tessin und Thun."

Diesem eindeutigen Fazit gegen die Planung der KVA Thun wollte wenige Tage später die "Nationale Abfallkonferenz" der Kantonsregierungen nicht beipflichten:

Der Bund, 30. Januar 1999
... Aussage von Frau Regierungsrätin Dori Schaer (Kanton Bern): "Wir planen die KVA Thun auf jeden Fall weiter". Und aus heutiger Sicht werde sie dem Gesamtregierungsrat auch beantragen, die Anlage zu bauen. ... ... Hart ins Gericht ging Dori Schaer mit der Preisüberwacherstudie. Sie warf den Autoren "Einseitigkeit und zweifelhafte Annahmen vor". ...

Das Bewilligungsverfahren für die KVA Thun nahm seinen Lauf. Gegen die KVA Thun opponierten in der Folge über 3'100 Einsprecher und Einsprecherinnen; Umweltverbände, politische Partien, Quartierorganisationen, Gemeinden und Privatpersonen.

Im Juli 1999 wurde eine Studie des Verbandes der Betriebsleiter Schweizerischer Abfallbehandlungsanlagen VBSA publiziert:

Berner Zeitung, 20. Juli 1999
Die Abfall-Lobby sucht nach Argumenten für die umstrittene KVA Thun. Doch die neuesten Zahlen aus einer unveröffentlichten Studie zeigen vor allem eins: Es gibt genügend Verbrennungsöfen.

... Die Abfall-Lobby selbst kommt in der Studie indirekt zum Schluss, dass es in der Schweiz in den nächsten Jahren genügend Abfallanlagen gibt. Dies zeigt die der Berner Zeitung vorliegende Zusammenstellung der aktuellsten Zahlen.
Der VBSA umschreibt allerdings die neuen Zahlen über die Abfallmengen und die Verbrennungskapazitäten etwas diplomatischer: Verklausuliert heisst es etwa, "dass es zumindest theoretisch in gewissen Monaten zu Kapazitätsengpässen kommen kann." ...

Im Hinblick auf das per 1. Januar 2000 in Kraft tretende Deponieverbot suchte und fand die für die Berner Oberländer Entsorgung zuständige AG für Abfallverwertung AVAG auswärtige Verbrennungsanlagen in der Region, welche sich über die künftigen Anlieferungen von Kehricht sehr erfreut zeigten:

Thuner Tagblatt, 6. November 1999
Die Aargauer Regierung hat dem Ghüderexport der AVAG in die drei Aargauer Kehrichtverbrennungsanlagen zugestimmt. Diese können damit besser ausgelastet und die Verbrennungspreise niedrig gehalten werden. ... ... Nach Ansicht der Aargauer Regierung stellt der Vertrag für alle Beteiligten einen Gewinn dar. Das Berner Oberland könne das Ablagerungsverbot von brennbaren Abfällen ab Ende Jahr erfüllen, und im Aargau könne man von den tiefen Preisen in optimal ausgelasteten Verbrennungsanlagen profitieren. ...

Ende November 1999 wurden die düsteren Prognosen des BUWAL im Rahmen der Abfallstatistik 1998 vorgelegt:

BUWAL Abfallstatistik 1998, Abstract
... Damit werden die KVA ab dem 1.1.2000, wenn das Ablagerungsverbot für brennbare Abfälle in Kraft tritt, vollständig ausgelastet sein. Angesichts fehlender Reserven und dem altersbedingten Ersatz bestehender Anlagen wird der Bau neuer KVA in den nächsten Jahren unumgänglich.

Ab dem 1. Januar 2000 gilt nun das Deponieverbot für brennbare Abfälle. Gemäss Buwal reicht die KVA Kapazität nur knapp. Besteht aber tatsächlich noch ein Bedarf für die Anlage Thun? Bekanntlich ist die KVA Fribourg im Bau, und die KVA Tessin eine beschlossene Sache.

Thuner Tagblatt, 1. Februar 2000
Die Entsorgungssicherheit ist gewährleistet
Der Abfallexport der AVAG in auswärtige KVA ist gut angelaufen: Im ersten Monat wurden rund 6300 Tonnen Kehricht auf Schiene und Strassen transportiert. Lediglich 114 Tonne mussten mit einer Ausnahmebewilligung des Kantons weiterhin deponiert werden. Fazit des AVAG Direktors Clausen: " Die Entsorgungssicherheit ist gewährleistet." ...

Wie wir auch von unserer Seite her überprüft haben, ist der Transport des Thuner Kehrichts in die Aargauer Anlagen bisher problemlos verlaufen. Wenn man nun den Buwal Prognosen Glauben schenken soll, wäre im heutigen Zeitpunkt die Kapazität der Schweizer KVA am Limit. Dass dem nicht so ist, bestätigt der folgende Zeitungsbericht:

Thurgauer Zeitung, 22. Dezember 1999
Die KVA in Weinfelden ist für die Bedürfnisse des Kantons zu gross gebaut. Im Jahre 1998 wurde eine Auslastung der Anlage von zirka 55 Prozent erreicht. Anfang 2000 tritt nun in der Schweiz das Verbot zur Deponierung von brennbaren Abfällen in Kraft. Man hofft jetzt auf die konsequente Durchsetzung der neuen Vorschriften. Dies würde zusätzlichen Müll für die Verbrennungsanlagen im Land bedeuten, und von diesem Kuchen will sich der Aargau ein möglichst grosses Stück abschneiden. ...
... Es ist offensichtlich, dass der Kanton Thurgau dringend auf die Verbrennung fremden Mülls angewiesen ist. ...

Die Hoffnung auf mehr ausserkantonalen Müll hat sich im Thurgau bislang noch nicht erfüllt, denn noch heute fehlen die dringend benötigten Abfallmengen:

Schreiben des Verbandes KVA Thurgau vom 17. Januar 2000
... Die Bemühungen, zusätzliche Abfälle aus andern Kantonen und dem nahen Ausland zu erhalten, liefen zwar stets auf Hochtouren und eigentlich hätten wir die zusätzlichen Mengen früher erwartet, doch bis dato blieben sie aus. ...
... denn schon oft schienen Anlieferungen in Reichweite zu liegen und im letzten Moment wurden doch andere Möglichkeiten gefunden. ...


Sehr geehrter Herr Bundesrat Leuenberger
Angesichts der fundamentalen Widersprüche in den Behauptungen des Buwal, im Gegensatz zu andern Quellen und zu einer sachlichen Analyse der tatsächlichen Verhältnisse, stellt sich für uns die Frage, ob von Seiten des Bundesamts für Umwelt, Wald und Landschaft (sowie von anderen Interessenvertretern) nicht auch diesmal wieder punkto KVA-Bedarfsprognosen weit übers Ziel hinaus geschossen wurde.

Um endlich Klarheit in die tatsächlichen Verhältnisse zu erhalten ersuchen wir Sie als den höchsten Verantwortlichen in der Schweizer Abfallpolitik hiermit um die Anordnung einer von unabhängigen Fachpersonen zu erstellenden "Studie betreffend der Kapazität und dem Zusatz-Bedarf von Kehrichtverbrennungsanlagen in der Schweiz". In Ihrem Auftrag müsste sich eine Gruppe von Sachverständigen möglichst rasch mit Fragen wie Kehrichtmengenentwicklung, Separatsammlungen, Alternativverfahren, Kapazitätsprognosen und Entsorgungsplanung auseinandersetzen. Ein solch neutrales (d.h. nicht durch das Buwal zu erstellendes) Expertengutachten (ähnlich der Hayek-Studie für die Expo 2001) dürfte insbesondere auch für den Bund von wirtschaftlichen Interesse sein; wird doch bei der KVA Thun über eine Zusprechung von öffentlichen Geldern (Bund und Kanton Bern) in der Höhe von rund Fr. 160 Millionen diskutiert.

Gerne erwarten wir Ihre geschätzte Antwort.

Mit freundlichen Grüssen

PRO REGIO THUN


PS: Die angeführten Pressezitate stellen wir Ihnen auf Wunsch gerne im Original zur Verfügung


TALK TO US
23.02.2000