Verein Pro Regio Thun und Forum Umwelt und SBA, 3. November 1997
Kehrichtperspektiven Das Thuner Abfall-Modell
1. Grundlagen – der Stand der Dinge
Aus folgenden Gründen sind die Herausgeber dieses Arbeitspapiers zur Auffassung gelangt,
dass keine Schwelbrennanlage SBA in Thun gebaut werden darf:
a) Rückgang des anfallenden Kehrichts als Gesamtbilanz – Haltung der Bevölkerung
Gebühren und bewusstes Konsumverhalten haben in den vergangenen 10 Jahren zu einem
deutlichen Rückgang der anfallenden Kehrichtmengen geführt. Diesem Rückgang trägt der
vorgesehene Bau der SBA nicht Rechnung. Es wird festgestellt, daß bei der Planung der SBA
Thun eine Gesamt-Optimierung der Rohstoffwiederverwertung sowie Minimierung des Restmülls
nicht oder massiv zu wenig berücksichtigt worden ist.
Obschon in der Bevölkerung der deutliche Wunsch nach der Suche einer Alternativlösung
besteht, wurden bisher von Seiten der Behörden keine greifbaren Handlungen vorgenommen.
Nach heutigen Erkenntnissen entspricht die projektierte Schwelbrennanlage SBA Thun weder
dem Bedürfnis noch dem Wunsch der Einwohner von Thun und Umgebung .
Gemäß "Mitwirkungsbericht Kantonale Ueberbauungsordung Schwelbrennanlage Thun" vom 17.
Juni 1996 äußerten sich über 90% der Einwohner bereits in diesem frühen Projektstadium
differenziert kritisch oder ablehnend gegenüber dem Standort einer SBA in Thun. 68% stellten
sich differenziert kritisch bis ablehnend zur Notwendigkeit dieser Anlage und nicht weniger als
98% der Befragten beurteilten die Umweltverträglichkeit der SBA in Thun ablehnend oder
differenziert kritisch.
Die Zeit hat eine statische Idee, nämlich den Bau einer SBA in Thun, eingeholt. Zu viele Fakten
sprechen seit geraumer Zeit gegen eine solche Anlage. Ein Tätigwerden der zuständigen
Behörden fehlt bis heute.
Es ist bekannt, dass trotz, oder gerade wegen dem Bau der Kehrichtverbrennungsanlage die
Sackgebühren steigen werden. Die Gebühren werden für die Rückzahlung des Bankkredites,
sowie für den Betrieb, den Unterhalt und für Reparaturen der Anlage benötigt. Eine
ernstzunehmende Investition in ein neues Abfallkonzept kann nicht mehr erwartet werden, denn
die SBA ist ein Rentabilitätsobjekt.
124 Einsprachen wurden gegen das Projekt im Herbst 1996 erhoben. Die spontane, im Februar
1997 kurzfristig lancierte Petition war ein voller Erfolg für die SBA-Kritiker: Über 6’000
Unterschriften gegen die geplante SBA beweisen eindrücklich den Unmut einer betroffenen und
hinters Licht geführten Bevölkerung. 400 Demonstrierende trugen das Projekt SBA am 17.
Oktober 1997 symbolisch zu Grabe. Mehr als 500 Briefe, worin der Verzicht auf die Anlage
gefordert wird, werden der für das Abfallwesen zuständigen Bundesrätin Frau Ruth Dreifuss
diesen Herbst zugeschickt.
Innert weniger Monate spendeten Private dem Verein Pro Regio Thun 40'000.-- Franken zwecks
Bezahlung der Prozesskosten. Die Gemeindeversammlung von Hilterfingen bewilligte mit einer
¾ Mehrheit kürzlich einen Kostenrahmen von Fr. 120‘000.-- zur Prozessführung gegen den
Bauentscheid. Nicht zuletzt sprachen sich auch die grossen Umweltverbände in der Region in
einer Stellungnahme deutlich gegen den Bau der Schwelbrennanlage aus.
Fazit: Es gibt nachweislich keinen Bedarf für eine KVA in Thun, die ausserdem
unverhältnismäßig viel Geld und Energie verschlingt. Zusätzlich werden die Konsumenten selbst
unnötig belastet und die Umwelt risikoreich gefährdet.
Gemäß zuständigem Bundesamt (BUWAL) ist die SBA Thun rein rechnerisch nicht nötig.
b) Standort, Umweltgefährdung
Das Trinkwasser
In einer rechtsgültigen Grundwässerschutzzone eine SBA zu bauen, ist zwar technisch gesehen
nicht unmöglich, verteuert aber durch die zu treffenden Schutzmaßnahmen gemäss
Schutzzonenreglement den Bau und somit den Betrieb beträchtlich. Risiken und mögliche Unfälle
sind nicht auszuschließen. Das räumen selbst die Erbauer ein.
Das Trinkwasser der Stadt Thun wird in unmittelbarer Nähe des geplanten SBA-Standorts
gefasst. Die Folgen einer allfälligen Katastrophe würden sich verheerend auf die
Trinkwasserversorgung auswirken.
Die Luft
Die Kleine Allmend als Standort für die geplante Anlage liegt zwischen dem Wohnquartier
Lerchenfeld und dem Stadtzentrum von Thun und die SBA befände sich unmittelbar neben
Unterkünften des Waffenplatzareals. Es ist offensichtlich, daß der gewählte Standort punkto
Schadstoffemissionsradius denkbar ungeeignet ist. Nicht einmal im vielzitierten Fürth durfte die
SBA derart nahe an bewirtschaftete und bewohnte Gebiete heran gebaut werden.
Lungenärzte aus der Region Thun warnen vor der zusätzlichen Schwebestaubbelastung (PM10).
Die Emissionsgarantiewerte der Herstellerfirma und die Energiebilanz sind beim
Schwelbrennsystem deutlich schlechter als bei einer konventionellen KVA.
c) Untaugliche Technologie des Schwelbrennverfahrens
Eine vergleichbare SBA, wie sie in Thun entstehen soll, gibt es nicht. Das japanische
Versuchsmodell und dasjenige in Ulm ist, bzw. war rund 100 mal kleiner. Die Anlage in Fürth ist
um einen Drittel kleiner gebaut.
Keine SBA in der Größe wie sie in Thun entstehen soll, ist jemals erprobt worden. Die um einen
Drittel kleinere "Pilotanlage" in Fürth, D, hat bereits mehrmals ihre Untauglichkeit in
Betriebsstörungen und der Kostenentwicklung bewiesen. Das Schwelbrennsystem muss als
Risikotechnologie im Sinne des Wortes bezeichnet werden.
Die Stadt Thun erhielte also eine weitere "Grossversuchsanlage", wie dies von Umweltexperten
geäußert wurde.
Auf dem Markt existieren mittlerweile jedoch diverse funktionierende alternative Kehrichtmodelle,
welche die Umwelt um ein Vielfaches weniger belasten als die Verschwelung.
Das schier verzweifelte Festhalten der Bauträgerschaft am Projekt SBA Thun muss unter den
gegebenen Umständen als unreflektierte Zwängerei beurteilt werden. Ein Time-out zwecks
Standortbestimmung ist dringend notwendig, um eine voraussehbare Entwicklung jenseits aller
wünschbaren Szenarien zu vermeiden.
Um die prognostizierte Gesamtmenge an brennbaren Abfällen thermisch zu behandeln, dürften
sich ab dem Jahre 2000, vor allem durch den Vollzug des Deponieverbotes, im Berner Oberland
Kapazitätsengpässe abzeichnen. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist jedoch eine möglichst
optimale Auslastung aller Anlagen inkl. der Zementwerke, unter Einsatz einer auch über grössere
Distanzen ökonomisch und ökologisch vertretbaren Logistik, flexibler und sinnvoller als die
regionale Bereitstellung genügender Verbrennungskapazität.
d) Baukostenprognose
Bereits sind einige Millionen Schweizerfranken in die Planung investiert worden. Dieses Geld ist
nicht fehlinvestiert: Die aus der Planung gewonnenen Erkenntnisse haben uns zum Glück noch
rechtzeitig aufgezeigt, daß die geplante Kehrichtverbrennunngsanlage in Thun nicht der richtige
Weg ist, um das Kehrichtproblem in der AVAG Region zu lösen. Eine Schaffung von
Reserve-Überkapazitäten ist dem umweltbewussten Kehrichtverhalten nicht förderlich und
gemäss der Umweltschutzgesetzgebung des Bundes sogar widerrechtlich.
Nur ein sofortiger Baustopp im Sinne eines Moratoriums kann den bereits entstandenen Schaden
in Grenzen halten. Dieser Unterbruch würde Zeit schaffen zu einer dringend notwendigen
Standortbestimmung. Vernünftige Optionen könnten somit endlich ins Auge gefasst werden.
2. Ziele – realistische Zukunftsperspektiven
Durch frühzeitige Aufklärung und zielbewußte Präventivmassnahmen werden die Konsumenten
auf die Thematik "Ökokreislauf" sensibilisiert. Langfristiges Ziel ist die Sicherung und Steigerung
der Lebensqualität und der Attraktivität des Wirtschafts- und Tourismusstandorts Thun. Das
"Thuner Abfallmodell" soll Vorbildcharakter erhalten und als Beispiel für andere Kehrichtregionen
dienen.
Zentrales Anliegen ist die ernstgemeinte Verwirklichung eines nachhaltigen umweltbewussten
Lebensstils, mittels:
Vermeiden
- Anfallender Abfall soll grundsätzlich bereits beim Produzenten vermieden werden.
- Schwer rezyklierbare Stoffe sind auf dem Markt zu minimieren.
- Unnötige Verpackungen sind aus dem Verkehr zu ziehen.
- Optimierung des Konsumverhaltens mittels Förderung von Mehrwegprodukten.
Verwerten (Aussortieren, Rezyklieren)
Konsequente Abfalltrennung beim Verbraucher:
- Metall/Kunststoffe
- Glas
- Zellulose (Papier, Karton)
- Batterien
- Grünabfälle
- Restmüllverwertung
Nur Produkte mit einer hohen Rohstoffreinheit haben in einem Mehrweg-Kreislauf eine Chance.
Um ihre Attraktivität zu steigern, müssen rezyklierbare Produkte preisgünstiger zu kaufen sein.
Verbrennen von Abfällen.
(Erst am Schluß einer langen Kette wird nichtverwertbarer Restmüll verbrannt)
- Nur ein geringer, aufs kleinste reduzierte Teil des Restmülls soll in einem Ofen verbrannt werden
und als schadstoffhaltige Luft in unsere Umwelt gelangen.
- Der Verbraucher soll beim schonenden Umgang mit seiner Umwelt belohnt, nicht durch hohe
Sackgebühren bestraft werden.
3. Vorgehen nach Dringlichkeit - dargestellt im 5-Punkte Plan
1. Punkt: Handlungsbedarf Baueinstellung
Um eine unkontrollierbare Kostenexplosion ins Unermeßliche zu vermeiden, ist der unverzügliche
Baustopp des Projektes SBA eine absolute Notwendigkeit (vgl. Diagramm
"Baukostenprognose").
Es ist offensichtlich Absicht der Bauträgerschaft, mittels hektischer Bautätigkeit Sachzwänge
schaffen zu wollen, welche ein späteres "Time-out" verunmöglichen sollen. Es ist aus diesem
Grunde ein sofortiges Moratorium anzustreben, welches mindestens bis zum Ende einer
sechsmonatigen regulären Betriebsdauer der SBA in Fürth aufrechterhalten wird.
2. Punkt: Einsetzen einer neutralen Arbeitsgruppe, Kommission
Die zuständigen Behörden setzen eine neutrale Arbeitsgruppe/Kommission ein, mit dem Auftrag,
die Möglichkeiten der Optimierung des Abfallkreislaufs in Thun zu prüfen. Durch rechtzeitige,
offene Information von Behörden und Bevölkerung wird die notwendige Akzeptanz für das Projekt
erreicht.
3. Punkt: Erstellen einer Machbarkeitsstudie für das "Thuner Abfallmodell"
Die Arbeitsgruppe/Kommission beauftragt aussenstehende Fachleute zur Erarbeitetung des
zeitgemässen Konzepts eines "Thuner Abfallmodells" unter ständigem Einbezug der
Bevölkerung.
Im Auftrag erarbeitet diese Umwelt- und Abfallberatungsorganisation eine Machbarkeitsstudie
aufgrund von bereits vorliegenden Tatsachen sowie von neuen Erkenntnissen. Ferner soll eine
bundesweite Abfallplanung ins Auge gefasst werden.
4. Punkt: Vernehmlassung/Beschluss
Der Entwurf des neuen Konzepts soll durch ein demokratisches Vernehmlassungsverfahren
(Prinzip der Selbstbestimmung) laufen und wesentliche Verbesserungen laufend berücksichtigen.
Durch die zuständigen Instanzen wird der Beschluss zur Realisierung des neuen "Thuner
Abfallmodells" gefasst. Die Ausführung wird innerhalb kurzer, aber vernünftiger Frist erfolgen.
5. Punkt: Begleitete Realisierung
Es ist anzustreben, dass die Realisierung des Thuner Abfallmodells in transparenter Form
geschieht, dies unter regelmässigem Einbezug von Fachleuten und neuesten Erkenntnissen. Es
muss sichergestellt sein, dass die erzielten Fortschritte in Form von verbesserter Lebensqualität
der Bevölkerung zu Gute kommen. Das Thuner Abfallmodell soll Vorbildcharakter erhalten und
als Musterbeispiel für andere Regionen dienen.
4. Mittel – Vorschläge für Lösungsansätze
Eine kleine Auswahl an Adressen:
- Die Umweltfachfrau und ETH Dozentin Frau Susanna Fassbind entwickelte für die Stadt
Zug ein zukunftsträchtiges Abfallmodell:
- Das Arena Umweltinstitut in Tübingen bietet eine umfassende Umweltberatung sowie
ökologische Kehrichtbewirtschaftungskonzepte an:
- Die Firma BRV Technologiesysteme ist Anbieterin für grosstechnische
mechanisch-biologische Abfallbehandlungen:
- Die Firma UMBRA betreibt eine Umweltberatung:
- Die Organisation GAP (Global Action Plan) vertritt ein Programm, welches es den einzelnen
Haushalten ermöglicht, einen messbaren Beitrag zur sog. nachhaltigen Entwicklung zu
leisten.
- Die schweizerischen Zementwerke bieten die Übernahme von bis zu 400'000 Tonnen
Abfälle (Altöl, Altpneus, Klärschlamm, Holz, Papier etc.) als alternative Brenstoffe mit kleiner
Umweltbelastung an:
5. Beilagen – konkrete Beispiele
Die Beilagen können gegen einen Selbstkostenpreis von Fr. 10.-- bezogen werden bei:
Pro Regio Thun
Zeughausweg 6
3645 Gwatt
Auszüge aus der Broschüre
- Der nachhaltige Lebensstil - Herausforderung für Schweizer Städte und Gemeinden:
- Realisierte Kehrichtreduktion pro Haushalt: 18 %. Herausgeberin: GAP (Global Action Plan)
- Beispiele für Restabfall - Behandlungskonzepte:
- Münsteraner Abfallwirtschaftstage Januar 1997:
- Mechanisch-biologische Restabfall-Vorbehandlung mit energetischer Verwertung
- Mechanisch-Biologische Anlagen
- Abfallwirtschaftskonzept der Stadt Münster
- Mechanische Aufbereitung
- Anerobe Behandlung der Schlämme
- Nassoxydation - Behandlungsanlagen (Ver-Tech-Verfahren)
- APT - Aqueous Phase Treatment: Prinzip der Vergärung und Biogasnutzung
- MBV - Mechanisch Biologische Restabfall Vorbehandlungsanlage
- Presseinformation: Niedersächsisches Umweltministerium 12. Juni 1995
- "Mechanisch biologische Restabfallbehandlung lohnt sich für die Kommunen"
Broschüre
- Kritisches zur Müll-Schwel-Brenn-Anlage, Herausgeberin "Das bessere Müllkonzept"
Dieses Arbeitspapier wurde dem Gemeinderat von Thun am 3. November 1997 vorgestellt.
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