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Beobachter, 04. April 2003
Müllentsorgung: Heiss umkämpfter Abfall

Die Kehrichtverbrennungsanlagen balgen sich um die Mangelware Müll. Dennoch werden weitere Anlagen gebaut - die Zeche bezahlen die privaten Haushalte.

Die Schweizerinnen und Schweizer produzieren zu wenig Abfall, um sämtliche Kehrichtverbrennungsanlagen (KVA) hierzulande voll auszulasten. Die freien Kapazitäten in den 28 KVA machten diesen Winter rund 100000 Tonnen aus - doppelt so viel wie im Vorjahr. "Alle Anlagen könnten noch ‹Ghüder› brauchen", sagt Peter Steiner, Geschäftsführer des Verbands der Betreiber Schweizerischer Abfallbehandlungsanlagen (VBSA).

Entsprechend heftig wird um das knappe Brenngut gefeilscht. Steiner spricht von "diversen Organisationen, die Gewerbeabfälle um jeden Preis übernehmen". Auf der Jagd nach guten Margen karren Muldenbetreiber Müll quer durch die ganze Schweiz. Ein prima Geschäft: Die Abfallhändler suchen sich jene KVA, bei der sie den Müll zum niedrigsten Abnahmepreis loswerden. Die Verbrennungskosten pro Tonne Abfall liegen zwischen 150 und über 300 Franken.

Saisonale Schwankungen sind im Müllbusiness nichts Aussergewöhnliches, doch so gross wie diesen Winter waren die Überkapazitäten noch nie. Liegts am stotternden Wirtschaftsmotor? Oder existieren in der Schweiz schlicht zu viele Öfen für zu wenig Müll?

Vor allem Letzteres haben die Müllverbrenner in der Vergangenheit stets bestritten - unterstützt durch die Abteilung Abfall beim Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft. Noch im letzten August hiess es dort: "Angenommen, die Abfallmenge nimmt in den kommenden Jahren auch nur um ein Prozent jährlich zu, beträgt der zusätzliche Kapazitätsbedarf bis 2010 rund 500000 Jahrestonnen." Darin eingerechnet sind rund 250000 Tonnen deponierte Abfälle.

Die Mülllobby hat sich auf diese Argumentation eingeschworen, um lokalen Widerständen gegen neue oder grössere Müllöfen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Opposition wird als Egoismus gebrandmarkt. Als der eidgenössische Preisüberwacher Ende der neunziger Jahre vor Überkapazitäten von 470000 Tonnen bis 2010 warnte, blieb dies ohne Wirkung.

Inzwischen ist auch der VBSA auf die Bremse getreten und schreibt von "deutlich zu viel Kapazität ab 2006, wenn alle KVA-Projekte tatsächlich realisiert werden". Die KVA Thun wird ab 2004 befeuert - und auch das Tessin will noch in diesem Jahrzehnt eine eigene KVA bauen.

Kantönligeist steht im Weg
Zögerlicher argumentiert man beim Bund. Auf eine parlamentarische Anfrage zum Thema antwortete der Bundesrat kürzlich: "Ohne entsprechende Massnahmen könnte diese Entwicklung tatsächlich zu Überkapazitäten führen." Um gleich wieder zu relativieren: 12 der 57 in Betrieb stehenden Ofenlinien mit einer Kapazität von rund 440000 Tonnen seien älter als 20 Jahre.

Diese Linien müssten in den nächsten fünf Jahren ersetzt oder total revidiert werden. Das gebe den notwendigen Spielraum, um "die KVA-Kapazität den jeweiligen Bedürfnissen anzupassen".

Doch das ist Wunschdenken, denn zuständig für die Abfallentsorgung sind die Kantone. Diese wiederum lassen ihre Gemeinden in der Regel frei schalten und walten. "Klammert man regionalpolitische Aspekte aus, wären Anlagen mit 150000 Jahrestonnen und mehr am wirtschaftlichsten", sagt Eugen Meile, Verantwortlicher der KVA Winterthur. Unter diesen Voraussetzungen würden 15 bis 20 Anlagen für die Schweiz genügen. Die Kapazitäten der 28 KVA liegen heute zwischen 35000 Jahrestonnen (KVA Gamsen) und 330000 Jahrestonnen (KVA Les Cheneviers).

Exemplarisch für die Fehlplanung im Müllgeschäft ist die KVA Thurgau. Als das Projekt aufgegleist wurde, rechnete man mit 120000 Jahrestonnen Müll aus dem Verbandsgebiet. Bei Inbetriebnahme war es nur die Hälfte. Müll musste her. Fündig wurde man im Tessin - vorläufig, denn die Südschweiz wird ihren Müll dereinst selber verbrennen. Ab Mitte 2005 werden jährlich rund 25000 Tonnen Güsel aus Süddeutschland in den Thurgau verfrachtet; damit steigen die Müllimporte schweizweit auf über 100000 Tonnen pro Jahr an.

Von einer wirtschaftlich sinnvollen Entsorgungspolitik kann angesichts dieser Zahlen keine Rede sein. Die Zeche für Kantönligeist und Kirchturmdenken zahlen am Ende die privaten Haushalte: Sie müssen den jeweiligen Tarif ihres Zweckverbands berappen.

Von Bernhard Raos


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18.04.2003