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Der Bund: Freitag, 20. August 2004
KVA steht trotz Widerstand

Die Thuner Kehrichtverbrennungsanlage sorgte einst für rote Köpfe – heute wird sie eingeweiht

Zwei Mal zogen zahlreiche Gegner gegen die KVA Thun vor Gericht. Der Bau der Anlage löste in Thun Widerstände aus, wie es noch nie ein Projekt zuvor vermocht hatte. Gegen das Projekt kämpften auch heutige SVP-Gemeinderäte.

130 Meter lang, 75 Meter breit, 36 Meter hoch und 200 Millionen Franken teuer: das ist die Kehrichtverbrennungsanlage Thun. Von weit her ist sie sichtbar, wegen ihres 70 Meter hohen Kamins und der Dampfwolke, die daraus in Thuns Lüfte steigt. Heute wird das gigantische Projekt offiziell eingeweiht. Behördenseits nicht dabei: die beiden Thuner SVP-Gemeinderäte Ursula Haller und Andreas Lüscher. Die Beiden finden zwar, dass die Kehrichtverbrennungsanlage «technisch» (Lüscher), «architektonisch und sicherheitsmässig» (Haller) ein ausgereiftes Projekt sei. Doch Haller und Lüscher, die einst an vorderster Front gegen den Bau einer Kehrichtverbrennungsanlage kämpften, möchten sich selbst und ihren damaligen Mitkämpfern gegenüber ehrlich bleiben. «Ich kann nicht zuerst gegen die KVA sein und dann an der Einweihung teilnehmen», sagt Ursula Haller. Die Standortwahl, sagt Lüscher, kritisiere er immer noch, auch wenn die KVA jetzt überall hochgejubelt werde. Der riesige Bau trenne das Lerchenfeldquartier von der Stadt ab, meint der einstige Lerchenfeldleist-Präsident. Aber es bleibe ihm nichts anderes übrig, als sich damit zu arrangieren. Das findet auch Parteiund Gemeinderatskollegin Ursula Haller. Die KVA stehe nun mal, sagt sie, man müsse jetzt Interesse daran haben, dass sie auch wirtschaftlich rentiere.

Opposition gegen KVA
Die beiden SVP-Gemeinderäte sind nicht die Einzigen, bei welchen die heutige KVA-Einweihung Erinnerungen an einen verlorenen Kampf hervorrufen. Die Gemeinde Hilterfingen und 40 private KVA-Gegner – darunter mehrere Leiste sowie die SVP Thun – zogen 1998 gegen den regierungsrätlichen Entscheid, in Thun eine KVA zu bauen, vor das Verwaltungsgericht. 100 Zuhörerinnen und Zuhörer verfolgten die Verhandlungen; das Verwaltungsgericht tagte damals erstmals aus Platzgründen nicht an der Speichergasse sondern im Assisensaal im Amthaus. Mit 5:0 Richterstimmen wurden die Beschwerden allerdings abgelehnt. Die Opposition gegen die KVA in der Region war gross:
Bereits 1997 werden über 6000 Unterschriften gegen das Projekt gesammelt und als Petition eingereicht. Im Oktober 1997 wenden sich 800 Unterzeichnende in einem Sammelbrief an die damalige SP-Bundesrätin Ruth Dreifuss. Ebenfalls im Oktober 1997 nehmen über 400 Demonstrierende an einer Kundgebung gegen die geplante Anlage vor dem Baugelände teil. Prominenteste Teilnehmerin: Ursula Haller, damals noch Stadtund Grossrätin. 1998 stellt der damalige schweizerische Preisüberwacher Werner Marti den Bedarf einer zusätzlichen KVA Thun angesichts der Verbrennungsüberkapazitäten in der Schweiz grundsätzlich in Frage. Der Widerstand wächst jetzt weiter. Greenpeace, die Ärzte für Umweltschutz, der WWF, der Verein für Volksgesundheit, das Ärztekollegium der Stadt Thun und die IG Velo Thun melden ihre Bedenken an. Für Kontakte zwischen den einzelnen Interessengruppen und einen koordinierten Widerstand sorgt der Verein Pro Regio Thun, der 1997 gegründet wird. Dem Verein kam die aktivste Rolle in der ganzen Gegnerschaft zu. Über Pro Regio liefen die Kontakte zwischen Befürwortern und Gegnern. Pro Regio mit seinen 200 Mitgliedern war die Drehscheibe der Opposition. Die Mitglieder fochten gegen die AG für Abfallverwertung (Avag), den Kanton mit der damaligen Baudirektorin Dori Schär und die Behörden der Stadt Thun. Der Widerstand in Thun richtete sich in erster Linie gegen das Schwelbrennverfahren: Diese Technologie, von der Firma Siemens entwickelt, war damals neu und noch unerprobt. «Die Stadt Thun wird zum Grossversuchsgelände verurteilt», schrieb Pro Regio in dieser Zeit.

Wegen Opposition abgespeckt
Die Opposition hat den Bau nicht verhindern können. Erfolg war ihr trotzdem beschieden. Das zuerst geplante, 300 Millionen teure Schwelbrennanlage-Projekt, das 150000 Tonnen Abfälle jährlich hätte verbrennen sollen, wurde abgespeckt. Der Verwaltungsrat der Avag beschloss sieben Wochen nach dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, auf die Schwelbrenntechnik zu verzichten. Das neu vorgestellte Projekt kostete noch 190 Millionen Franken und wies 100 000 Tonnen Jahreskapazität auf. Für die KVA-Gegner indes war längstens klar: Thun wolle nicht eine abgespeckte sondern gar keine Kehrichtverbrennungsanlage. Im Jahr 2000 kam es erneut zu einer Gerichtsverhandlung: von 3200 Einsprechern gegen das neue KVAProjekt hatten 355 Personen eine Sammelbeschwerde beim Verwaltungsgericht eingereicht. Dieses liess die Beschwerdeführer erneut abblitzen. Auch das Bundesgericht, an das die Beschwerdeführer danach gelangten, wies die Beschwerden ab.

MIREILLE GUGGENBÜHLER


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24.08.2004