Der Bund, 21. August 2004 Sie kämpfen um Abfälle Ein gigantisches Bauwerk (130 Meter lang, 75 breit, 36 hoch) soll auch in gigantischer Form übergeben werden. Das schien sich Otto Frey vom verantwortlichen Generalplanungsbüro der KVA vor der Einweihung gesagt zu haben. Er verzichtete auf die traditionelle Übergabe des KVA-Schlüssels an Avag-Direktor René Clausen. Stattdessen überreichte er ihm ein goldenes Zepter – einen Meter lang, eingehüllt in rotes Samttuch.
Macht wie die Fürsten
Er überreiche ihm dieses Zepter «als Zeichen der Herrschaft», sagte
Frey weiter. So wie es früher die Fürsten gemacht hätten. «Also –
ich herrsche», sagte ein deutlich überrumpelter Clausen, der dann
hinzufügte, «dass die Zeiten der Alleinherrscher eigentlich vorbei
sind». Macht müsse man teilen, erst dann komme sie voll zur Geltung.
Und er teile diese jetzt mit KVA-Direktor Heiner Straubhaar.
Machtgelüste beziehungsweise einen Hang zum Überdimensionierten
stellt der Direktor der Bieler Müllverbrennungsanlage
(Müve), Stefan Birbaumer, in seiner Branche immer wieder fest:
«Jeder Betreiber träumt irgendeinmal davon, seine Anlage noch
grösser werden zu lassen.»
Billige Preise in der Ostschweiz
Birbaumer selber gesteht ein, «mal etwas gegen die KVA Thun gehabt
zu haben, weil sie gross ist undwir lange glaubten, die Müve deswegen
schliessen zu müssen». Heute ist die Müve jedoch voll ausgelastet.
Und dies werde wohl auch weiter so bleiben, wenn nicht
plötzlich eine Gemeinde abspringe. Denn: Zurzeit bieten vor allem
Anlagen in der Ostschweiz möglichen neuen Kunden Dumpingpreise
an. Dies, weil die Anlagen zum Teil nicht voll ausgelastet sind.
Deshalb soll 2010 die Zürcher Anlage Josefstrasse geschlossen werden
(«Bund» von gestern). Für grenznahe Gemeinden ist das Entsorgen
von Abfall im nahen Ausland besonders attraktiv. Die Preise
sind dort tiefer, weil das Entsorgen auf einer Deponie, wie das im Ausland
üblich ist, weniger teuer zu stehen kommt als das Verbrennen
der Abfälle in einer KVA. In der Schweiz gibt es seit dem 1. Januar
2000 ein Deponieverbot. «Nur die Schweiz kann sich KVAs leisten
und kennt ein Deponieverbot», so Birbaumer.
Das heutige Abfallentsorgungs-Modell, wonach jede Region der
Schweiz ihr Abfallproblem selber löst, findet Birbaumer überdenkenswert.
«Anstelle der 28 KVAs könnte man auch 5 grosse, gut gebaute
einsetzen. Man bräuchte eine ausgefeilte Logistik, dann
könnte man den Abfall der ganzen Schweiz genügend entsorgen.»
2003 gabs weniger Abfall
Die Menge an brennbarem Abfall in der Schweiz ist 2003 im Vergleich
zum Vorjahr um zwei Prozent gesunken. Wie das Bundesamt
für Umwelt, Wald und Landschaft 2003 schrieb, habe die Sackgebühr
«eine starke Abnahme der Hauskehrichtmenge» (minus 30
Prozent) bewirkt. Die Menge der separat gesammelten Abfälle indes
sei angestiegen. In Gemeinden mit Sackgebühr achten laut einer Buwal-
Umfrage 43 Prozent der Befragten schon beim Einkauf auf
Abfallvermeidung, in Gemeinden ohne sind es 36 Prozent.
gum |
29.08.2004 |