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Der Bund, 21. September 2006
Tessiner Abfall in der KVA Thun


Die Kehrichtverbrennungsanlage Thun macht mit fremdem Kehricht ein gutes Geschäft

Seit bald einem Jahr verbrennt die KVA Thun Abfall aus dem Tessin. Damit werde bestätigt, dass die Anlage überflüssig sei, sagen ehemalige Gegner. Man wolle bloss helfen, sagt KVA-Chef Heiner Straubhaar. Und: Von diesem Geschäft profitierten letztlich alle.

Die Sache ist nicht ohne Brisanz: In der Kehrichtverbrennungsanlage (KVA) Thun werde, spricht sich herum, Abfall aus dem Tessin verbrannt. KVA-Geschäftsleiter Heiner Straubhaar bestätigt dies: Das sei kein Geheimnis. Seit letztem November werde in Thun tatsächlich Kehricht aus dem Tessin angenommen, sagt er. Es handle sich um eine Jahresmenge von 5000 Tonnen, was fünf Prozent der Kapazität der Anlage entspreche. Angeliefert werde zweimal wöchentlich, ausschliesslich mit der Bahn.

Reserve: Fünf bis zehn Prozent
Der Bau der KVA Thun war heftig umstritten. Die Annahme von fremdem Abfall verwundert die Gegner von damals nicht. Fredi Flügel vom seinerzeit äusserst aktiven Verein Pro Regio Thun sagt, damit werde nun "voll bestätigt", was von Anfang an klar gewesen sei: Die KVA Thun sei überdimensioniert und unnötig. Stets habe es aber geheissen, die Abfallmenge werde kontinuierlich ansteigen. Pro Regio habe schon damals auf eine Trendwende hingewiesen. "Mit unserer Prognose lagen wir goldrichtig", sagt Flügel. Hier gehe es ums Geschäft. Womit Flügel nicht Unrecht hat. Allerdings hängt die Geschichte laut KVA-Chef Straubhaar nicht mit einer Überkapazität der Anlage zusammen. Ohne den Kehricht aus dem Tessin würde die Auslastung 90 bis 95 Prozent betragen - "genauso viel, wie wir angenommen haben". Eine Reserve von zehn Prozent sei normal, sagt er und verweist auf saisonale Schwankungen und den Einfluss der Konjunktur.

Das Problem des Kantons Tessin
Dass der fremde Abfall in Thun überhaupt verbrannt wird, hat zwei Gründe. Weil der Kanton Tessin noch immer nicht über eine eigene KVA verfügt, werden jedes Jahr über 100 000 Tonnen Kehricht nach Norden geschafft und verbrannt - vorab in Zürich und in der Ostschweiz. Die KVAs in diesem Raum, die insgesamt tatsächlich zu viel Kapazität aufweisen, sind trotzdem nicht in der Lage, allen Abfall aus dem Süden zu übernehmen. Sie leiten deshalb Teile davon unter anderem nach Thun weiter. Der Grund für ihren derzeitigen Engpass liegt - im Norden.

"Sehr gutes Geschäft" für KVAs
Seit Mitte letzten Jahres ist in Deutschland nämlich verboten, was in der Schweiz bereits seit sechs Jahren verboten ist: das Deponieren von Kehricht. Gleichzeitig stehen aber noch nicht genügend Verbrennungsanlagen bereit. Deutschland exportiert seither grosse Mengen Abfall in die Schweiz. Für 2006 hat das Bundesamt für Umwelt (Bafu) rund eine halbe Million Tonnen bewilligt. Für die hiesigen KVAs sei dies "ein sehr gutes Geschäft", sagt Hans-Peter Fahrni, Chef Abteilung Abfall und Rohstoffe im Bafu. Für die Annahme einer Tonne Kehricht kassieren sie rund 160 Franken. Ewig wird diese Geldquelle aber nicht sprudeln: Sobald die Deutschen in wenigen Jahren über genügend eigene Anlagen verfügen, "hört das auf", sagt Fahrni. Dann wird sich die Frage stellen, ob im Raum Zürich/Ostschweiz KVA-Kapazität abgebaut werden muss. Ein ähnlicher Zeitrahmen gilt für Thun: Sobald im Tessin eine KVA steht oder die Importe aus Deutschland nachlassen, wird der Zusatzgewinn wegfallen. Wie viel Thun für eine Tonne Tessiner Kehricht kassiert, will Straubhaar nicht sagen. Darüber sei Stillschweigen vereinbart worden. Der Preis bewege sich aber in der gleichen Grössenordnung wie die Preise, die von Deutschland bezahlt werden, sprich 160 Franken. Für die jährlich gelieferten 5000 Tonnen erhält die KVA Thun somit um die 800 000 Franken. Heiner Straubhaar betont, in Thun werde kein Kehricht aus Deutschland verbrannt. Es gehe darum, anderen, schweizerischen KVAs auszuhelfen, "was nichts als recht ist".

Günstigere Preise ab 2009
Das Geschäft mit dem Tessiner Kehricht könnte für Thun noch etwa zwei bis vier Jahre laufen, schätzt Straubhaar. "Mittelfristig profitiert davon jeder, der hier anliefert", sagt er. Und das sind 149 Gemeinden. Weil die KVA dank diesem Geschäft rascher Schulden abbauen kann, werde sie den Anlieferpreis rascher senken können. Derzeit liegt er für die angeschlossenen Gemeinden bei 235 Franken pro Tonne. Straubhaar nimmt an, dass dieser Preis ab 2009 sukzessive gesenkt werden kann bis auf ein Niveau von zirka 200 Franken. Der einzelne Haushalt würde schliesslich profitieren, sobald eine Gemeinde die Sackgebühr senke.

Weniger schädliche Gase
Bleibt die Frage nach den zum Teil sehr langen Transportwegen. Klar sei es unschön, Kehricht über so lange Strecken zu verschieben - vor allem auch, weil es nur zum Teil gelinge, die Transporte mit der Bahn abzuwickeln, sagt Hans-Peter Fahrni vom Bundesamt für Umwelt. Wenn das Problem jedoch grenzüberschreitend betrachtet werde, würden sich theoretisch noch längere Fahrten lohnen. Denn in Bezug auf die Treibhausgase sei es um ein Vielfaches besser, wenn der Kehricht verbrannt werde, als wenn man ihn auf einer Deponie verrotten lasse.

KVA Thun - erbaut trotz erbittertem Widerstand
Die Kehrichtverbrennungsanlage Thun verwertet die brennbaren Abfälle aus 149 Gemeinden des Aare-, Gürbe- und Emmentals sowie des Oberlandes. Betrieben wird sie von der AG für Abfallverwertung (Avag). Zu zwei Dritteln gehören die KVA-Aktien den Gemeinden. An weiteren 30 Prozent ist die öffentliche Hand über Abwasserreinigungsanlagen und Energie Wasser Bern beteiligt. In Betrieb genommen wurde die KVA, die gleichzeitig ein Kraftwerk ist, im November 2003. Das Projekt wurde erbittert bekämpft. Die Gegner, über Parteigrenzen hinweg vereint, argumentierten mit sich abzeichnenden Überkapazitäten in der Schweiz. Obschon der Bau nicht verhindert wurde, konnte die Opposition doch einen Erfolg verzeichnen: Das geplante 300-Millionen-Projekt einer neuartigen Schwelbrennanlage mit einer Jahreskapazität von 150 000 Tonnen wurde abgespeckt: Erstellt wurde eine herkömmliche Anlage für 200 Millionen Franken und eine Kapazität von 100 000 Tonnen.


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24.09.2006