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Berner Zeitung, Samstag, 07.11.1998
Schaers positives Abfall-Fazit

Von Otto Hostettler

Regierungsrätin Dori Schaer zeigt sich unbeirrt: Ihre Abfallpolitik habe sich bewährt, sie habe Überkapazitäten und Fehlinvestitionen verhindert. Und: Das Thuner Projekt wird weiter vorangetrieben. Über zehn Seiten umfasst die Erklärung von Baudirektorin Dori Schaer, und es ist ein eigentlicher Rechenschaftsbericht auf verschiedene Vorstösse von Kantonsparlamentariern, die Schaers Politik im Abfallwesen kritisch hinterfragten. Tenor des Berichts: SP-Baudirektorin Schaer will die Planung des Thuner Kehrichtverbrennungsofens vorantreiben und weist Kritik an ihrer Abfallpolitik zurück.

Die Erklärung
Neben dem «Bericht 10 Jahre Abfallpolitik im Kanton Bern» antwortet sie fast ebenso ausgiebig den Grossräten. Diese fordern teils einen sofortigen Planungsstopp für die in Thun vorgesehene Verbrennungsanlage oder kritisieren den Zickzack-kurs im Fall der Bieler Anlage. Schaer wird in ihren Ausführungen nicht müde, die Leistung des Kantons zu rühmen. So heisst es stolz, Bern habe ein «Entsorgungssystem, das gesamtschweizerisch als vorbildlich gilt». Und: «Die Strategie der kantonalen Abfallpolitik erwies sich über die gesamten letzten zehn Jahre betrachtet als erfolgreich.» In diesem Ton geht Schaers Exkurs weiter: Der Kanton habe «mit einer flexiblen Abfallpolitik eine massgeschneiderte Entsorgungsinfrastruktur realisiert» und damit «Fehlinvestitionen vollständig vermieden».

Die Fakten
Regierungsrätin Schaers positivem Fazit stehen aber einige Fakten gegenüber, die auf eine alles andere als entschlossene Abfallpolitik hinweisen. So schreibt Schaer etwa zur 40 000- Tonnen-Verbrennungsanlage (Müve) in Biel: «Bereits 1993 wurde ein Ausbau der Müve aufgrund der sinkenden Abfallmengen und der hohen Ausbaukosten sowie der politischen Schwierigkeiten bei der Erweiterung der Entsorgungsregion hinterfragt.» Der Hintergrund präsentiert sich allerdings anders: Am 18. November 1992 schrieb Dori Schaers Chefbeamter, Martin K. Meyer, der damaligen Anlage-Direktion im Seeland wörtlich: «Als Empfehlung können wir Ihnen zur Zeit nur mitteilen, dass eine Auslegung Ihrer Anlage auf 90 000 Tonnen nach wie vor richtig ist, dass jedoch im Sinne einer unverbindlichen Option auch eine Alternative von 120 000 bis 130 000 Tonnen in erste planerische Überlegungen einbezogen werden könnte.» Zur Einsicht, den Ausbau zu verhindern, ist wenige Monate nach besagtem Brief nicht der Kanton gekommen, sondern der Verwaltungsrat der Müve. Er sistierte den Planungskredit, womit das Ausbauvorhaben schubladisiert war. Pikant in der Müve-Geschichte: Im 1996 revidierten Leitbild, als die finanziell angeschlagene Müve mit einer neuen Leitung längst auf Sanierungskurs war, sah der Kanton die vollständige Schliessung der Anlage vor! Und dies obschon Regierungsrätin Schaer und ihr Abfallchef Meyer im Dezember 1995 eigens nach Biel gefahren und dort von den Müve-Verantwortlichen über die Aussichten der Anlagen informiert worden waren. Die vermeintliche Schliessung (die inzwischen ebensowenig Tatsache geworden ist wie der einst vom Kanton angeregte Ausbau) erwähnt Schaer weder im Rechenschaftsbericht noch in ihrer Antwort auf die Vorstösse. Ebenfalls ein eigenartiges Bild über die Auffassung der Realität in der Direktion von Regierungsrätin Schaer zeigt ein anderer Passus. Schaer schreibt: «Das Abfall-Leitbild 89/91 basierte noch auf den stark ansteigenden Abfallmengen der 80er Jahre.»

Die Korrektur
Ihre aktuelle Begründung für das kurz nach Inkrafttreten gescheiterte Leitbild ‚91 trifft allerdings wenig zu. Denn: Bereits zwischen dem Entwurf und der endgültigen Fassung des Leitbildes wurden die Abfallmengen massiv nach unten korrigiert. Am 10. Juni 1991 schrieb Martin K. Meyer in einer Pressemitteilung: «Die wichtigste Änderung gegenüber dem Entwurf betrifft das für den Zeitraum 1990 bis 2000 prognostizierte Wachstum der Siedlungsabfälle.» Statt von einer Zunahme von 25 Prozent war noch von 5 Prozent die Rede, beim Hauskehricht schätzte Meyer die Abnahme gar auf rund 15 Prozent. Trotzdem plante der Kanton munter weiter: in Biel, in Bern und in Thun.


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10.11.1998