SBA-THUN
HOME WHAT'S NEW ARCHIVES GUESTBOOK

Berner Zeitung Kanton Bern (Dienstag, 15. Januar 2002)
Abfallvermeidung ist nicht mehr prioritär

Das bernische Abfallleitbild soll überarbeitet werden. Der Grundsatz, dass Abfall eigentlich vermieden werden müsste, soll im Konzept der bernischen Abfallpolitik nicht mehr an erster Stelle stehen.

Nach 1991 und 1997 soll in den nächsten Monaten das bernische Abfallleitbild erneut überarbeitet werden. Neu wird das Dossier, das die Grundzüge der kantonalen Abfallpolitik festlegt, juristisch verbindlicheren so genannten «Sachplan Abfall» werden. Dies bestätigt Jacques Ganguin, Chef der Abteilung Abfallwirtschaft in der Bau- und Energiedirektion von Regierungsrätin Dori Schaer. Die neu definierten Leitplanken der bernischen Abfallpolitik sollen bereits im Frühjahr als Entwurf vorliegen. Ganguin versichert, dass der Entwurf den politischen Parteien und betroffenen Abfallverwertern zur Vernehmlassung unterbreitet werde. Ob das Dossier, das auch die Standorte bestehender und allfällig künftiger Anlagen, Umladestationen und verschiedenster Deponien auflistet, allen 400 bernischen Gemeinden zur Stellungnahme unterbreitet wird, ist laut Ganguin aber noch nicht klar. Mit dem neuen Sachplan wird sich der Kanton Bern voraussichtlich von einem massgeblichen Grundsatz verabschieden. Das bisher in allen Abfallkonzepten des Kantons Bern definierte oberste Ziel war die Vermeidung von Abfall. Laut Ganguin ist dies zwar nach wie vor ein «Ideal», in Zukunft aber «nicht mehr prioritär». Ganguin: «Wir müssen uns nichts vormachen. Es gibt immer mehr Abfall.» Das Schwergewicht soll neu auf die Verwertung von Abfall gelegt werden. Praktisch hat sich der Kanton längst vom Ziel verabschiedet, dass Abfälle grundsätzlich zu vermeiden sind.

Die einzige Kampagne in den letzten Jahren, die auf die Sensibilisierung der Bevölkerung zum Thema Abfall zielte, war auf illegales Deponieren ausgerichtet («Pfui Tüfel»).

Kanton kontra Müve
Dass jetzt aus dem Abfallleitbild neu ein Sachplan wird, ist kein Zufall. Denn die rechtliche Verbindlichkeit des Leitbildes war insbesondere bei dessen Ausarbeitung 1996 umstritten. Kritisiert wurde der juristische Gehalt damals vor allem von der Bieler Verbrennungsanlage Müve. Denn der Entwurf des damaligen Konzeptes sah beispielsweise vor, dass die Anfang der 90er-Jahre unter massiven Finanzproblemen leidende Seeländer Anlage 2002 hätte geschlossen werden müssen. Die aktienrechtlich organisierte Unternehmung sanierte den Betrieb aber innerhalb weniger Jahre und kritisierte, dass der Kanton via Leitbild die Anlage schliessen wollte.

Geänderte Politik
Auf der andern Seite argumentierte die kantonale Baudirektion von Dori Schaer bereits damals, dass ein Neubau einer Anlage in Thun wegen der Abfallmengen unumgänglich sei (damals wurde die KVA Thun mit einer doppelt so grossen Verbennungskapazität geplant, als sie heute gebaut wird). Es war aber nicht das erste Mal, dass die mittels Leitbild aufgestellte Marschrichtung der kantonalen Abfallpolitik um 180 Grad änderte. 1991 sah das damalige Abfallleitbild sogar noch vor, in Bern eine zweite Verbrennungsanlage zu bauen. Und wenige Jahre bevor Biel die Order zur Schliessung erhielt, war zuvor noch ein Ausbau der Kapazitäten geplant.

Die Frage aus Biel
Weil das Abfallleitbild eher ein Konzept denn eine rechtliche Grundlagenplanung war, stellten die Verantwortlichen der Seeländer Anlage um den heutigen Bieler Baudirektor Ulrich Haag bei der Vernehmlassung 1996 keck die Frage: «Inwieweit können sich als unzutreffend erweisende Festlegungen im Leitbild Ausgangspunkt für die Geltendmachung rechtlicher Ansprüche sein?» Die Frage können die Bieler wohl bald erneut stellen.

Otto Hostettler


TALK TO US
05.12.2002