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Neue Zürcher Zeitung, Freitag, 05.02.1999
Kathrin Martelli zur Schuldensanierung im Abfallwesen

Im Entsorgungsdepartement hat sich in den letzten Jahren ein gewaltiger Schuldenberg aufgetürmt. Dies hängt mit hohen Investitionen zusammen, aber auch mit den rückläufigen Kehrichtmengen und der von jeher defizitären Fernwärme. Zur Schuldensanierung werden laut Stadträtin Kathrin Martelli, Vorsteherin des Tiefbau- und Entsorgungsdepartementes, derzeit verschiedene Möglichkeiten erwogen, darunter auch das Einschiessen von Dutzenden von Millionen Franken an Steuergeldern. Die Stadtkasse wird in jedem Fall stark belastet werden.

Wie sieht die Rechnung im ehemaligen Abfuhrwesen für das Jahr 1998 aus?

Kathrin Martelli: Auf Wunsch des Gemeinderates haben wir die Rechnungen der Bereiche Fernwärme und Kehricht, die bisher zusammen geführt wurden, getrennt. Für 1998 war für die Fernwärme ein Defizit von 19 Mio. Fr. budgetiert. So, wie es aussieht, wird es ein Defizit von «nur» 11 bis 12 Mio. Fr. geben. Wir schliessen dank dem milden Winter und der Optimierung der Anlagen also besser ab als erwartet, aber immer noch mit einem gewaltigen Defizit.

Und beim Kehricht?

Dort zeichnet sich eine ausgeglichene Rechnung ab, vielleicht sogar ein Gewinn von einer halben Million Franken. Und das, obwohl die Gebührenerhöhung, die im August 1998 in Kraft getreten ist, noch nicht voll zum Tragen kommt.

Bei den Laufenden Rechnungen ist also ein Trend zum Besseren festzustellen. In den letzten Jahren hat sich aber ein gewaltiger Schuldenberg angehäuft. Wie setzt sich dieser genau zusammen?

Das Spezialfinanzierungskonto der Fernwärme, in das jedes Jahr die im Betrieb erwirtschafteten Defizite oder die Gewinne einfliessen, weist, das noch nicht abgeschlossene Jahr 1998 eingerechnet, ein Minus von rund 63 Mio. Fr. aus. Im Kontokorrent - das sind die Schulden, die wir durch Investitionen gemacht haben - sind 147 Mio. Fr. verbucht. Beim Kehricht haben wir im Spezialfinanzierungskonto ein Minus von 9 Mio. Fr., hier kommen 1998, wie erwähnt, keine weiteren Schulden hinzu. Dieses Defizit wollen wir in den nächsten Jahren kontinuierlich abbauen. Daneben haben wir bei den Investitionen ein Kontokorrent von 227 Mio. Fr. Die Höhe dieser Schulden macht den Bereich Kehricht nach wie vor zum Sanierungsfall.

Wie kann bei diesen gewaltigen Summen eine Entschuldung realisiert werden?

Wir haben diese Frage zusammen mit Fachleuten aus dem Banken- und Unternehmenssektor sowie aus den Bereichen Fernwärme und Heizkraftwerke überdacht. Bei der Fernwärme, die wir bereits heute zusammen mit dem Kanton betreiben, streben wir eine Ausgliederung und die Gründung einer Betriebsgesellschaft an, an der Stadt, Kanton und Bund beteiligt sind. Um die aufgelaufenen Schulden abzutragen, müssen Steuergelder in zwei- oder gar dreistelliger Millionenhöhe eingeschossen werden. Oder man entscheidet sich für eine totale Ausgliederung von Betrieb und Anlagen und übergibt damit die Schuldensanierung der künftigen Fernwärme AG. Aber auch dann wird die Stadt Steuergelder zur Schuldensanierung einsetzen müssen. Die verschiedenen Versionen werden im Moment intensiv geprüft. In jedem Fall wird das Volk am Schluss das letzte Wort haben. Mit Blick in die Zukunft müssen wir eine grundsätzliche politische Diskussion darüber führen, ob wir die jährlichen Defizite, die auch künftig im Fernwärmebereich anfallen werden, aus ökologischen Gründen aus Steuermitteln zu bestreiten bereit sind, wie das der Kanton seit Jahren macht. Solange das Erdöl so billig ist wie heute und solange eine Preisbindung der Fernwärme ans Erdöl besteht, wird die Fernwärme defizitär bleiben.

Beim Kehricht sehen wir auf Grund der Optimierungen, die vollzogen worden sind, die Chance, künftig einen defizitfreien Betrieb führen zu können. Das Spezialfinanzierungskonto sollte irgendwann wieder einmal ausgeglichen sein. Hier bleibt die grosse Frage, wie man die enormen Investitionen abschreiben und die Zinslast tragen kann. Wir prüfen derzeit, ob der Wert der Anlagen auch wirklich den getätigten Investitionen entspricht. Für die Zukunft heisst hier die Devise: Anlagen betreiben und erhalten, aber möglichst keine neuen Investitionen.

Was bedeuten diese Perspektiven für die Stadtkasse und den Budgetausgleich?

Sie bedeuten in jedem Fall, dass die Stadtkasse noch mehr belastet und es noch schwieriger werden wird, den angestrebten Budgetausgleich zu erreichen. Wir werden, um dieses Ziel dennoch zu erreichen, notgedrungen in anderen Bereichen noch mehr sparen müssen.

Sind weitere Gebührenerhöhungen zu erwarten?

Die Sackgebühren sind eben erst erhöht worden. Ich sehe weder politisch noch ökonomisch eine Möglichkeit für weitere Erhöhungen in der nächsten Zeit. Hingegen werden wir versuchen, mit tieferen Gebühren mehr Gewerbekehricht zu erhalten. Wir werden versuchen, mit einem optimierten Preis-Mengen-Verhältnis die Rechnung zu verbessern.

Könnte man den Bereich Kehricht durch eine Privatisierung rentabler machen?

Wir prüfen im Moment derartige Möglichkeiten. Ich denke, der Betrieb und der Besitz der Kehrichtverbrennungsanlagen durch die Stadt sind dort sinnvoll, wo es die Bedürfnisse der Stadt betrifft. In der KVA Josefstrasse haben wir eine Ofenlinie, in die wir 10 Mio. Fr. investieren müssten, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Das machen wir aber nicht. Vielmehr bieten wir diese Linie Interessenten in der Schweiz, die Kehrichtverbrenner suchen, zum Kauf oder zur Miete an - so etwa dem Kanton Tessin oder der Stadt Thun.

Sind weitere Sparmassnahmen geplant?

Ja, diese werden weitergehen, obwohl bereits Enormes geleistet wurde. Wir sind daran, jeden einzelnen Prozess in unseren Betrieben unter die Lupe zu nehmen, um herauszufinden, ob er sich günstiger abwickeln liesse. Da liegen noch Optimierungen drin. Daneben soll auch der Personalbestand noch weiter reduziert werden.

Ist es gelungen, mehr Kehricht zu akquirieren?

Auch hier hat sich der Einsatz gelohnt. Von 1997 bis 1998 haben wir die Kehrichtmenge netto um 6,5 Prozent steigern können, und das, obwohl die von Waldshut gelieferte Menge zurückgegangen ist, nachdem dort die Sackgebühr eingeführt worden war. Wir verbrennen neu die Rückstände, die in den Autozerhackanlagen zurückbleiben, was einer Bewilligung von Bund und Kanton bedarf. Da wir technisch sehr hochstehende Anlagen besitzen, haben wir diese erhalten. Das ist ein sehr lukratives Geschäft, weil wir die einzige Verbrennungsanlage in der Schweiz sind, die diese Rückstände entsorgen darf. Eine verbesserte Auslastung unserer Öfen haben wir auch mit der Verbrennung von entwässertem Schlamm erreicht.

Welche Hoffnungen setzen Sie aufs Deponieverbot, das am 1. Januar 2000 in Kraft tritt?

Keine. Wir haben im Kanton Tessin Offerten zur Kehrichtverbrennung gemacht, in Thun und in der Bodenseeregion. Ich zweifle aber daran, dass der Bund eingreifen und den betroffenen Kantonen verbieten wird, eigene Verbrennungsanlagen zu erstellen, damit sie ihren Kehricht jenen überlassen, die Überkapazitäten haben. Wir sind aber nicht mehr verzweifelt auf der Suche nach auswärtigem Kehricht; wir wollen auf dem skizzierten Weg weitergehen und unsere Betriebe aus eigener Kraft auf eine gesunde Basis stellen. Ich glaube auch, dass das gelingen wird.

Auch auf Parlamentsebene setzt man sich mit dem Kehricht- und Fernwärmeproblem auseinander. Wo stehen die Beratungen der Spezialkommission Abfuhrwesen?

Die Kommission hat ein sehr intensives halbes Jahr hinter sich, sie hat sich ein enormes Wissen zum Thema angeeignet. In einem Workshop hatten die Parteienvertreter ausserdem Gelegenheit, ihre Standpunkte einzubringen. Dem haben wir unsere Vorstellungen entgegengesetzt. Jetzt wird versucht, beides zusammenzubringen. Letztlich müssen wir dem Parlament Anträge unterbreiten können, die mehrheitsfähig sind. Konkret geht es um die erwähnten Formen der Entschuldung, anderseits auch um die Zukunft der beiden Betriebe. Will man die Fernwärme ausgliedern, so muss der Gemeinderat seine Zustimmung geben.

Wann kommen die Anträge vors Parlament?

Spätestens im Juni 1999 sollen sie der Kommission unterbreitet werden.

(Interview: cb.)


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01.03.1999