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Tages Anzeiger 4. November 1999
Stadt Winterthur: Abfall einkaufen, Asche verkaufen

Der Winterthurer Stadtrat krempelt seine Abfallpolitik um: Gemacht wird künftig, was Geld bringt.

Was der TA schon vor Wochen berichtet hat, ist jetzt offiziell: Der Winterthurer Stadtrat will in der städtischen Kehrichtverbrennungsanlage (KVA) so bald wie möglich bis zu 160 000 Tonnen Abfall pro Jahr verbrennen. Das hat die Stadtregierung laut einer Medienmitteilung gestern Mittwoch entschieden. Zurzeit dürfen in den zwei Öfen nur 110 000 Tonnen verbrannt werden. Dieser politische Kompromiss kam 1990 rund um den Bau der zweiten Ofenlinie zu Stande.

Seither hat sich die Abfalllandschaft verändert: Ab dem kommenden Jahr darf in der Schweiz kein Kehricht mehr deponiert werden. Daher braucht es mehr Verbrennungskapazitäten - und die liegen in Winterthur brach. Bund und Kanton haben deshalb in Winterthur nachgefragt, ob die Limite aufgehoben werden könne. Der Stadtrat hat dazu jetzt Ja gesagt und das Geschäft ans Parlament weitergeleitet. Vors Volk kommt die Limitenfrage nur bei einem Referendum.

Dazu sollte es aber nicht kommen, hofft Leo Iten (SVP), der Chef des Departements Technische Betriebe. Eine vom Stadtrat eingesetzte Arbeitsgruppe kam nämlich zum Schluss, dass in Winterthur ohne Schaden für die Umwelt 50 000 zusätzliche Tonnen Abfall verbrannt werden könnten. Zwar kämen laut Iten mehr Abgase aus den KVA-Kaminen. Doch "unter Einbezug aller Faktoren", so die Medienmitteilung, nehme die Umweltbelastung nicht zu. Profitieren soll die Umwelt ausgerechnet durch eine Massnahme, die dies nicht sofort vermuten lässt: durch den Export von Kehrichtasche in stillgelegte deutsche Salzbergwerke. Diese Massnahme hat der Stadtrat gestern ebenfalls beschlossen. Das Parlament muss sie aber noch bewilligen. Wenn exportiert werde, müsse die Asche nicht mehr wie heute durch Oberwinterthur zur Deponie gekarrt werden, sagt Iten, denn der Aschenexport soll ausschliesslich über die Bahn abgewickelt werden. Auch die Töss könnte laut Expertenbericht vom Export profitieren: Heute wird die Filterasche vor dem Deponieren gewaschen; dabei gelangt viel Salz in die Töss. Und schliesslich profitiere die Umwelt auch, wenn dank zusätzlichem Kehricht in der KVA mehr umweltfreundliche Energie wie Fernwärme und Strom gewonnen werde.

Mit Güsel Geld verdienen
Neben den umweltpolitischen Aspekten geht es dem Winterthurer Stadtrat aber auch um das Geld: Wird die Filterasche exportiert, sparen die Technischen Betriebe von Leo Iten pro Jahr 300 000 Franken; dem steht eine einmalige Investition von 650 000 Franken in eine Anlage gegenüber, die fürs Abpacken der Asche für den Bahntransport nötig ist. Finanziell interessanter ist für die Stadt aber die bessere Auslastung der Anlage. Iten rechnet vor: Werden pro Jahr 130 000 statt 110 000 Tonnen verbrannt, sinkt der Verbrennungspreis pro Tonne von heute 170 Franken auf 155. Enden gar 160 000 Tonnen Kehricht in Winterthur, sinkt der Preis auf 140 Franken. Das alles bringe der Bevölkerung tiefere Entsorgungskosten, wirbt Iten.

Und noch ein Zustupf winkt: Weil Winterthur die Kapazität der Anlage 1990 freiwillig tiefer ansetzte als möglich, verweigerte der Bund der Stadt rund acht Millionen Franken Subventionen. Zu Recht, wie das Bundesgericht 1995 entschied. "Dieses Geld wollen wir, wenn wir mehr verbrennen", sagt Iten. Ein entsprechendes Begehren sei beim Bund deponiert, ein Entscheid aber nicht gefallen.

Von Benjamin Tommer


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22.12.1999