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Tages Anzeiger, 23. Oktober 1999
Die Fernwärme als Sanierungsfall

Mit dem Verkauf von Fernwärme hat die Stadt in sechs Jahren Defizite von insgesamt 72 Millionen Franken verursacht.

Stadt und Kanton Zürich haben in ihren Fernheizwerken nicht nur aus Abfall und Öl Energie produziert, sondern auch enorme Verluste. Während der Kanton die jährlichen Fehlbeträge aus der Staatskasse bezahlt, galt in der Stadt eine andere Praxis: In der Bilanz der Fernwärmeversorgung sind seit 1993 die entstandenen Verluste jeweils als Verlustvortrag fortgeschrieben worden. Inzwischen sind per 1998 Fehlbeträge von 71,2 Millionen Franken zusammen gekommen. Da im laufenden Rechnungsjahr ein neues Defizit zu erwarten ist, entsprechen die knapp 72 Millionen Franken bereits nicht mehr dem neusten Stand.

Wie immer bei verschuldeten Unternehmen verschlechtert eine hohe Zinslast (siehe Grafik) die an sich schon schlechte Lage. Pro Jahr müssen derzeit rund zehn Millionen Franken für den Kapitaldienst aufgewendet werden - das sind über die Hälfte des Ertrags von 19,3 Millionen Franken. Insgesamt sind seit 1993 52 Millionen Franken für Zinsen draufgegangen.

Betriebsgesellschaft gegründet
Das Beste, was sich zur Situation der Fernwärme derzeit sagen lässt, ist, dass die Misere erkannt worden ist und die Sanierung in Ansätzen begonnen hat. In einer Antwort auf Interpellationen von Thomas Meier und Jürg Casparis (beide SVP) hat Stadträtin Kathrin Martelli diese Woche erklärt, was an Massnahmen getroffen bzw. beabsichtigt ist: Bereits per 1. Oktober sind in einer "Phase 1" die drei Fernwärmeversorgungen der Stadt, des Kantons und der ETH Zürich in einer einzigen Betriebsgesellschaft zusammengefasst worden. Martelli erhofft sich von der Neuorganisation, dass die Betriebskosten sinken und Synergien genutzt werden. Doch in der Interpellationsantwort werden die konkret zu erwartenden Spareffekte nicht weiter ausgeführt.

Aus den vorliegenden Jahresabschlüssen geht hervor, dass keine Wunder erwartet werden dürfen. Denn bei der Produktion von Fernwärme kann nicht kurzfristig der Aufwand reduziert werden, da der grösste Posten - nach dem Schuldendienst - die zur Produktion von Wärme notwendige Energie darstellt. Die Personalkosten zum Beispiel betragen nur 6 Prozent des Aufwands. Man muss also davon ausgehen, dass auch die gegründete Betriebsgesellschaft erst einmal neue Fehlbeträge produzieren wird.

Die Vorsteherin des Tiefbau- und Entsorgungsdepartements stellt für die nahe Zukunft eine "Phase 2" in Aussicht, wenn die Betriebsgesellschaft in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wird; dieses selbstständige Unternehmen soll zu 100 Prozent von Stadt und Kanton Zürich kontrolliert werden. Die ETH wird nur noch in einem vertraglichen Verhältnis angebunden sein. Was heisst "finanzielle Bereinigung"? In etwas verklausulierter Form wird gesagt, dass im Moment des Übergangs in eine AG auch die "notwendigen finanziellen Bereinigungen vorzunehmen" seien.

Im Klartext bedeutet dies wohl, dass in etwa drei Jahren den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern eine Sanierungsvorlage mit der unvermeidlichen Rechnung präsentiert werden wird. Stadträtin Kathrin Martelli selbst gibt sich hinsichtlich der Schuldenregelung bedeckt: "Es handelt sich um eine politische Frage, welche im Rahmen des Steuerungsausschusses und in den einzelnen Arbeitsgruppen zurzeit in Arbeit ist", heisst es in der Interpellationsantwort einsilbig.

Wie die Zukunft für die Fernwärme aussieht, lässt Martelli vollends offen. In ihren Interpellationsantworten wird nichts darüber gesagt, auf welche Weise die heutigen Defizite je in Gewinne verwandelt werden könnten. Doch sind externe Berater zur Prüfung aller hängiger Fragen beigezogen worden. Die Experten klären auch ab, wie weit die einstige Zukunftsenergie Fernwärme sich je auf dem Markt wird behaupten können.

Vor einem Jahr hatte Stadträtin Martelli angekündigt, man werde nicht blind auf Fernwärme setzen. Ökologie müsse auch ökonomisch sein. Ökologische Sparpotenziale sind jedoch in den letzten Jahren vor allem auf der Verbraucherseite erzielt worden. In Prognosen wird heute mit einem um acht Prozent geringeren Bedarf an Fernwärme gerechnet - dank Energiespar-Anstrengungen, besserer Isolation und verschärften Vorschriften auf Konsumentenseite. Auf der Produzentenseite hingegen ist die Idee ein Traum geblieben, aus Abfall günstige Heizenergie gewinnen zu können.

Von Thomas Rüst


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22.12.1999