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12. Februar 1999 Tages Anzeiger Zürich und Region
Stürze in den KVA-Bunker gab es immer wieder

Im Zürcher Kehrichtwerk Hagenholz sind schon vor dem tödlichen Unfall am Dienstag mehrere Personen in den Bunker gestürzt.

Der tödliche Unfall, bei dem ein 55-jähriger Mann mitsamt seinem Auto zehn Meter tief in den Kehrichtbunker stürzte, hat weitherum Bestürzung und Diskussionen ausgelöst. Stadträtin Kathrin Martelli und Gottfried Neuhold, Direktor des Amts Entsorgung und Recycling Zürich (ERZ), erklärten aber an der Pressekonferenz zum Unfall, das Sicherheitsdispositiv müsse nicht verbessert werden.

Jetzt haben Recherchen des "Tages-Anzeigers" ergeben, dass schon vor dem schweren Unfall immer wieder Personen in den tiefen Schacht stürzten. "Im Durchschnitt sind es sechs pro Jahr", sagte ein ehemaliger Mitarbeiter der Kehrichtverbrennungsanlage (KVA) Hagenholz. Der letzte Unfall soll sich am 23. Januar dieses Jahrs ereignet haben, wie Mitarbeiter der KVA erklärten. "Es ist reines Glück, dass die Unfallopfer unverletzt blieben oder mit kleineren Verletzungen davonkamen", sagte ein Gewährsmann. Von diesen Vorfällen habe er keine Kenntnis, liess der in den Ferien weilende Gottfried Neuhold ausrichten.

Angesichts dieser Unfälle ist es erstaunlich, dass die Verantwortlichen die Sicherheitsmassnahmen als genügend erachten. Immerhin werfen täglich auch Hunderte von Privatpersonen ihren Abfall in den zehn Meter tiefen Bunker, der nur durch eine kleine, 19 Zentimeter hohe Schwelle gesichert ist. Mitarbeiter der KVA Hagenholz hatten schon früher zusätzliche Sicherheitsmassnahmen vorgeschlagen.

Das Problem mit dem tiefen Bunker ist nämlich seit Jahren bekannt. Ironie des Schicksals ist, dass ausgerechnet der Sicherheitsbeauftragte des Abfuhrwesens, André Kempf, schon vor drei Jahren in einem Artikel in der Zeitschrift "die stadt - les villes", dem Organ des Städteverbands, auf die Gefahren hinwies. In der Nummer 1/96 schrieb er, in den meisten KVA der Schweiz würden Personen beim Abladen des Abfalls durch Unachtsamkeit in den Bunker fallen. Dabei stürzten die Verunfallten bis 16 Meter in die Tiefe. "Glücklicherweise ist dabei noch nie eine Person tödlich verunfallt", schrieb Kempf. Der Grund: Fallen die Personen auf weiche Abfallsäcke oder auf Karton, wird der Aufprall gedämpft.

Drei Zwischenfälle
Kempf schildert in seinem Artikel drei Beispiele aus der KVA Hagenholz. Ein Mann wollte eine grosse Matratze in den Bunker werfen, stolperte über die Matratze und fiel in den mit spitzen Gartenpfählen gefüllten Bunker. Die Matratze schützte ihn vor schweren Verletzungen.

In einem zweiten Fall wollte ein Schreiner Holzabfall in den Bunker kippen. Da die Entladeklappe vereist war, stieg er auf die Ladebrücke und schlug mit einem Pickel gegen die Klappe. Als sich diese mit einem Ruck öffnete, rutschte der Mann samt Ladung in den Schacht. Dabei erlitt er einen Schock und zog sich einen Schwartenriss am Kopf zu. Beim dritten Fall verlor ein Transporteur beim Abladen von grossen Kartonstapeln das Gleichgewicht. Die Feuerwehr musste den Mann, der Rückenverletzungen erlitten hatte, bergen.

Ein ehemaliger Betriebsmeister des Recyclinghofs Hagenholz bestätigte, dass immer wieder Personen in den Bunker stürzten. Einmal habe es in einem Monat gleich zwei solcher Unfälle gegeben. Dreimal sei er selbst dazugestossen und habe geholfen, Verunfallte zu bergen. "Wir wussten, dass irgendwann ein tragischer Unfall passiert", sagte der ehemalige Betriebsmeister. Man habe die Vorgesetzten immer wieder darauf aufmerksam gemacht, doch seien die Warnungen nicht ernst genommen worden. Ausserdem seien die Verunfallten jeweils froh gewesen, dass sie einigermassen heil davonkamen. Deshalb hätten sie auch nichts unternommen. Auf welcher Hierarchiestufe die Interventionen steckengeblieben seien, konnte der Exbetriebsmeister nicht sagen.

Er schilderte ausserdem den Fall eines Rentners, der an der Grube stand und zuschaute, wie ein Kehrichtwagen seine Fracht in den Bunker kippte. Durch die "Fliessbewegung" des Abfalls wurde sein Gleichgewichtssinn offenbar gestört, und er stürzte in die Tiefe. Glücklicherweise sei der Schacht recht gut gefüllt gewesen, weshalb der Mann nicht allzu tief gefallen sei. Ausserdem landete er auf einem Stapel Karton.

Die Mitarbeiter der KVA Hagenholz wissen also um die Gefahren, die bei der Kippstelle lauern, und sie kennen auch die Massnahmen, um solche Unfälle zu verhindern. Die KVA in Horgen zum Beispiel hat die Gefahr behoben, wie André Kempf in seinem Artikel schreibt. Zur Sicherung von Personen schlägt er eine Sicherheitsweste vor, die über einen Karabinerhaken mit einem von der Decke kommenden Seil verbunden ist. Eine Laufschiene soll die Bewegungsfreiheit gewähren. Sollte ein Arbeiter in den Bunker fallen, würden Sperrklinken - ähnlich wie bei Sicherheitsgurten im Auto - den Sturz verhindern.

Für Ruedi Kummer, Betriebsleiter der KVA Horgen, ist dieses System zu umständlich, als dass es sich für den Arbeitsalltag eignen würde. Seine KVA ist mit einem andern wirksamen Sicherheitssystem ausgerüstet, das den Sturz von Menschen und Autos in den Bunker verhindert. Der Abfall wird auf eine vier Meter lange Rutschbahn geworfen oder gekippt. Ein vertikaler Schieber in Form einer Stahlplatte am Ende der Rutsche fängt den Güsel auf. Von Zeit zu Zeit öffnet ein Arbeiter den Schieber per Knopfdruck, und der Kehricht fällt in den Bunker hinunter. Ausserdem verhindert eine Barriere den direkten Zugang zum Schacht. Trotz dieser Massnahmen sei kürzlich ein Mann in den Schacht gestürzt, was angesichts des geschlossenen Schiebers glimpflich verlaufen sei.

Abfälle künftig in Presscontainer?
Weder Stadträtin Kathrin Martelli noch Gottfried Neuhold waren am Donnerstag erreichbar. Ursula Weinmann, Sprecherin des Amts Entsorgung und Recycling Zürich, bestätigte, dass verschiedentlich Personen in den Bunker stürzten. Neuhold habe aber nichts davon gewusst. Sie erklärte ausserdem, die Vorfälle in der KVA Hagenholz dürften nicht überbewertet werden, weil die Personen jeweils weich auf dem Güsel gelandet seien. Trotzdem werde nun sofort die Weisung erlassen, dass alle Vorfälle künftig gemeldet werden müssten. Ausserdem sei bereits eine Sitzung anberaumt worden, an der das Sicherheitsdispositiv diskutiert werde. Geprüft würden Massnahmen, die verhindern, dass Privatpersonen Zugang zum Bunker haben. Denkbar sei, dass diese ihre Abfälle in einen Presscontainer werfen würden, sagte Ursula Weinmann.

Autor: Von Hugo Stamm


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17.02.1999