SBA-THUN
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PRO REGIO THUN Stand 17.Mai 1999
Kehrichtperspektiven IIa
  1. Was bisher geschah

    Die Abfallpolitik der Schweiz befindet sich zur Zeit in einer heiklen Umbruchphase. Das seit Jahren propagierte Verbot der Ablagerung von Siedlungsabfällen auf Deponien soll im Jahre 2000 definitiv in Kraft treten. Dies bestätigte jüngst auch das Bundesgericht mit Entscheid vom 11.11.1998: Abfälle, welche bisher in Deponien entsorgt werden konnten, müssen gemäss Technischer Verordnung über Abfälle ab Ende 1999 in KVA verbrannt werden. Eine willkommene Entwicklung für die KVA Betreiber: Viele KVA sind seit Jahren zu wenig ausgelastet und schreiben rote Zahlen. Hinzu kommt, dass sich die Prognosen des Bundesamtes für Umwelt Wald und Landschaft Buwal, welche ursprünglich den Bau von bis zu 15 neuen Kehrichtverbrennungsanlagen vorsahen, infolge des kontinuierlichen Rückgangs an brennbaren Abfällen als falsch herausstellten.

    Im Berner Oberland und in weiteren Gebieten des Kantons ist die AG für Abfallverwertung AVAG für die Verwertung der anfallenden Abfälle verantwortlich. Sie hat die Abfallverwertung bisher im Rahmen einer Ablagerung (3 Deponien) betrieben. Auftraggeber ist der Kanton Bern und die der AVAG angehörenden Aktionärsgemeinden.

    Im Hinblick auf das Deponieverbot im Jahre 2000 sah sich auch die privatrechtlich strukturierte AVAG für eine neue Entsorgungslösung um und begann mit der Planung einer eigenen Kehrichtverbrennungsanlage. Die Wahl des Standorts fiel rasch auf das Areal der Kleinen Allmend in Thun (im Eigentum des Bundes), als Technologie entschied man sich für die neuartige Schwelbrennanlage SBA der Firma Siemens KWU.

    1995 wurde die sog. "kantonale Überbauungsordnung" für die Schwelbrennanlage SBA Thun ausgearbeitet. Dieses Planungsinstrument des Kantons Bern gilt als Unikum. Es beschränkt die Mitbestimmungsmöglichkeit der betroffenen Standortgemeinde massiv und räumt gleichzeitig der Kantonsregierung die unbeschränkte Entscheidungsfreiheit einerseits bei der Planung andererseits auch beim Baubeschluss ein.

    Im Rahmen des Mitwirkungsverfahrens anfangs 1996 regten sich erste kritische Stimmen in der Bevölkerung. Man kritisierte insbesondere den Bedarf angesichts von Überkapazitäten in bestehenden KVA, den Standort mitten im Siedlungsgebiet und die unerprobte SBA-Technologie.

    Die öffentliche Auflage der kantonalen Überbauungsordnung und des Baugesuchs hatte neben unzähligen Leserbriefen auch zahlreiche Einsprachen und Rechtsverwahrungen von Privaten und juristischen Personen (u.a. auch Anstössergemeinden) zu Folge. Die Einspracheverhandlungen verliefen ergebnislos und die Projektträger hielten an beharrlich Ihrer Planung fest.

    Die Regierungen des Kantons Bern und der Stadt Thun erhielten darauf zahlreiche schriftliche Eingaben von besorgten Einwohnern, eine innert drei Wochen lancierte Petition gegen die Anlage wurde von über 6'000 Leuten unterzeichnet.

    Es meldeten sich auch diverse Umwelt- und Gesundheitsorganisationen aus der Region zu Wort, welche die SBA Planung aus ökologischen und medizinischen Gründen kritisierten.

    Im Mai 1997 erteilte der bernische Regierungsrat die Baubewilligung für die Anlage; kurz darauf wurde unter Mithilfe des Vereins "Pro Regio Thun" eine Sammelbeschwerde gegen diesen Entscheid an das Verwaltungsgericht eingereicht.

    Schon nach kurzer Zeit stand fest, dass die SBA Technologie tatsächlich noch in den Kinderschuhen steckte und mit gravierenden Konstruktionsmängeln zu kämpfen hatte: Die SBA Pilotanlage in Fürth (D) musste kurz nach deren Betriebsaufnahme wegen Reparaturen wieder abgestellt werden. Es ereigneten sich in der Folge mehrere Störfälle, teils unter unkontrolliertem Austritt von toxischen Schwelgasen, wodurch sogar Menschen verletzt wurden und hospitalisiert werden mussten. Mittlerweile ist bekannt geworden, dass die über 400 Mio. D-Mark teure SBA in Fürth definitiv stillgelegt und die anfallenden Abfälle in nicht ausgelastete Anlagen transportiert werden sollen. Ausserdem sind gegen diverse Verantwortliche der Firma Siemens Strafverfahren hängig.

    Da im Jahre 1997 weder Behörden noch die AVAG-Verantwortlichen die angesprochenen Probleme ernst nehmen wollten, keine Bereitschaft zu einer Diskussion über das Projekt zeigten und weiterhin am Projekt SBA Thun festhielten, wurde die Opposition gegen die SBA Thun selber aktiv:

    So führte sie öffentliche Podiumsdiskussionen mit Fachleuten durch, ausserdem wurden alternative ökonomisch und ökologisch sinnvollere Entsorgungswege geprüft.

    Im August 1997 musste der Buwal Direktor und oberste Abfallverantwortliche der Schweiz, Dr. H.P. Fahrni zugestehen, dass die SBA Thun rein rechnerisch gar nicht nötig sei.

    Eine Überprüfung der Transportmöglichkeiten des in der AVAG Region anfallenden Kehrichts via Bahnverlad in die Anlagen mit Unterkapazitäten ergab, dass eine solche Lösung nicht teurer als die Entsorgung in einer neuen eigenen Anlage zu stehen käme.

    Aus Angst, allfällige Bundessubventionen zu verlieren, entschloss sich die AVAG zu einem provisorischen Baustart ohne rechtskräftige Baubewilligung. Anlässlich des Beginns der Aushubarbeiten für die SBA im Herbst 1997 protestierten 400 - 500 KVA-Gegner mit einem Trauermarsch.

    Der Preisüberwacher wies in seinem Jahresbericht anfangs 1998 einmal mehr auf die massiven Überkapazitäten in den bestehenden KVA und die rückläufigen Abfallmengen hin und stellte die berechtigte Frage, ob der Bau neuer Anlagekapazitäten angesichts dieser Situation noch sinnvoll sei.

    Das Thuner Stadtparlament forderte im Februar 1998 einen Planungsstopp für das Projekt Schwelbrennanlage SBA Thun.

    Dessen ungeachtet gab das kantonale Verwaltungsgericht der Berner Regierung im Mai 1998 recht. Es beurteilte die SBA Baubewilligung als rechtmässig. Rund 30 Beschwerdeführende (Private und Organisationen) zogen daraufhin das Urteil ans Bundesgericht weiter.

    Im Juni 1998 gab die AVAG den Abbruch des Projekts SBA bekannt. In der Folge obsiegten die Beschwerdeführer sowohl vor Bundesgericht als auch vor dem kantonalen Verwaltungsgericht.

  2. Heutiger Stand der Dinge

    Obschon im November 1998 die Parlamente des Kantons Bern und der Stadt Thun den jeweiligen Regierungen erneut mittels Postulat den Auftrag erteilten, es sei ein allfälliges KVA Moratorium zu prüfen und eine Neubeurteilung anzustreben, werden die Planungsarbeiten für eine Verbrennungsanlage in Thun hastig vorangetrieben.

    Und wieder wird mit künstlich erzeugten Sachzwängen argumentiert: Wenn die Baubewilligung nicht bis Herbst 1999 vorliege, würden auch diesmal allfällige Bundessubventionen dahinfallen, heisst es. Offensichtlich will man eine Neubeurteilung der gesamten verfahrenen Situation um jeden Preis verhindern.

    Dabei findet die Tatsache, dass mittlerweile die Bauentscheide für zwei weitere KVA im Tessin und im Kanton Freiburg gefällt wurden, welche die Überkapazität zusätzlich verschärfen, bei den Kehrichtplanern offensichtlich keine Beachtung.

    Nach mehreren Anläufen ist es gelungen, die diversen Kontrahenten zu einer Gesprächsrunde an einen "runden Tisch Abfallentsorgung" zusammenzuführen. Der Erfolg dieses runden Tisches hängt jedoch vom Handlungspielraum und von der ernsthaften Bereitschaft der beteiligten Parteien, insbesondere der Bauträgerschaft, ab, eine konstruktive Lösung für die Entsorgung der in der AVAG Region anfallenden Abfälle finden zu wollen.

    Eine Motion im Thuner Stadtparlament forderte im Januar 1999 die Durchführung einer Konsultativabstimmung, um die repräsentative Meinung der betroffenen Standortgemeinde-Bevölkerung zu erfahren; bekanntlich sieht das Planungsverfahren der "kantonalen Überbauungsordnung" keinerlei Mitentscheidungsrechte des Souveräns vor.

    Obschon die Abstimmung Klarheit über die repräsentative Meinung der Bevölkerung verschafft hätte, wurde sie aus rechtlichen und politischen Erwägungen vom Stadtrat abgelehnt.

    Zulässiges Bewilligungs-Verfahren?

    Noch immer ist fraglich, ob das Planungsinstrument der "kantonalen Überbauungsordnung", eine Art "Notrecht", im vorliegenden Fall überhaupt anwendbar ist:

    Laut Aldo Zaugg "Kommentar zum bernischen Baugesetz", 1995, wird für die "kantonale Überbauungsordnung" nämlich eine konkrete Gefährdung regionaler oder kantonaler Interessen vorausgesetzt, welche dann als gefährdet erscheinen, wenn die bestehende planungsrechtliche Ordnung oder das kommunale Planverfahren nicht gestatten, sie in zweckmässiger Weise vorzunehmen.

    Die "kantonale Überbauungsordnung" hat laut Zaugg denn auch nur eine vorläufige Geltung: Sie ist aufzuheben, sobald die Gemeinden des Plangebietes ausreichende eigene Vorschriften beschlossen haben.

    Als bisher einziger Anwendungsfall für eine "kantonale Überbauungsordnung" wird ein öffentliches Werk erwähnt, welches das Gebiet mehrerer Gemeinden beanspruchte (Fall der Langeten Flusskorrektion).

    Die Stadt Thun verfügt bekanntlich über ein eigenes gut funktionierendes Verfahren zur Durchführung von kommunalen Überbauungsordnungen. (Anwendungsbeispiel: Überbauungsordnung für das Selve Areal). Eine konkrete Gefährdung von regionalen oder kantonalen Interessen liegt nicht vor (der dringliche Bedarf für die KVA Thun konnte bisher nicht bewiesen werden), weshalb hier eigentlich das reguläre kommunale Baubewilligungsverfahren inkl. Volksabstimmung zur Anwendung gelangen müsste

    Der Verdacht drängt sich deshalb auf, dass hier das Verfahren der kantonalen Überbauungsordnung einzig und allein zwecks Verhinderung der Mitbestimmung des Stimmvolks herangezogen wird. Diese Absicht käme einem Entzug des Stimmrechts gleich und wäre folglich klar verfassungswidrig.

    Eine im Januar 1999 veröffentlichte unabhängige Studie des Preisüberwachers ging der Frage nach, ob es nach Inkraftsetzung des Deponieverbotes im Jahre 2000 einen ungedeckten Bedarf in KVA gebe?

    Sie kam zum Ergebnis, dass auch ohne Bau einer KVA in Thun im Tessin eine Überkapazität an Kehrichtverbrennungen in der Schweiz besteht. Die KVA Thun und Tessin würden gemäss Preisüberwacher mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit "auf Vorrat" gebaut: "Eine realistische Planung nimmt daher zur Zeit und bis auf weiteres aus ökonomischen Gründen Abstand vom Bau der KVA Tessin und der KVA Thun."

    Nichtsdestotrotz hat am 17. Februar 1999 die Berner Regierungsrätin Dori Schaer-Born die Baubewilligungsphase gestartet, indem sie den Beginn des Mitwirkungsverfahrens ankündigte.

    Zu diesem Mitwirkungsverfahren sind Eingaben von 6 Gemeinden, 21 Organisationen und 203 Privaten gemacht worden. Das Ergebnis dieser Mitwirkung lässt keine Zweifel offen: Das Projekt KVA Thun wird von einer grossen Mehrheit der Bevölkerung von Thun und Umgebung abgelehnt. Als Fazit wird im Mitwirkungsbericht festgehalten, dass ein weitverbreitetes Misstrauen gegenüber den Behörden unübersehbar sei (Zitat): "Zumindest eine grosse Mehrheit der Mitwirkenden wollen die KVA Thun nicht."

    Am 6. 5. 1999 war der Zeitung "Der Bund" zu entnehmen, dass sich die AVAG nach langem Zögern entschlossen hat, den Abfall ab dem Jahr 2000 mittels Transport während mindestens vier Jahren in den zu wenig ausgelasteten Anlagen im Aargau und im Kanton Solothurn zu entsorgen. Diese Anlagen stehen nur in 30-40 Kilometern Entfernung vom AVAG Gebiet, also in unmittelbarer Nähe. Als Entsorgungspreis werden Fr. 265.-- pro Tonne Kehricht angegeben (Als Vergleich: Die Entsorgungskosten beim gescheiterten Projekt SBA wurden auf Fr. 270.-- und mehr budgetiert).

    Anfangs Mai 1999 hat die AVAG das Baugesuch für die Kehrichtverbrennungsanlage KVA Thun eingereicht.

  3. Kriterien/Argumente

    Es wird von keiner Seite mehr bestritten, dass die Kehrichtmengenentwicklung weit unter den Prognosen geblieben ist, die als Berechnungsgrundlagen zur Erstellung der heutigen (Über-) Kapazitäten dienten: Die Mengen sind auch in den vergangenen Jahren weiter gesunken, die Auslastung der bestehenden Anlagen ist ungenügend und die Bereitschaft der Bevölkerung, die finanziellen Folgen dieser Fehlplanung mit zu bezahlen, sei es mit fixen Entsorgungsgebühren oder " immer häufiger " mit einer verursachergerechten Sackgebühr, nimmt stetig ab.

    Bedingt durch die kontinuierlichen Rückgänge der Haushaltkehricht-Mengen seit 1989 (jährlich ca. 4-5%) und aufgrund der verstärkten Bemühungen um Separatsammlungen haben sich derart massive Rückgänge beim Kehrichtvolumen ergeben, dass einzelne KVA in der Schweiz heute bereits um ihre wirtschaftliche Existenz kämpfen müssen (Bsp. zweistellige Millionendefizite in Zürich). Verluste in Millonenhöhe im KVA Geschäft sind vorprogrammiert.

    Nach der künftigen Entwicklung der Kehrichtmengen befragt, rechnen Experten heute sowohl mittel- wie langfristig mit einer Stagnation oder einem geringen Rückgang. Dabei überwiegt die Abnahme auf Grund weiter steigender Gebühren (eine Mehrheit von Gemeinden in der Schweiz kennt heute noch keine Sackgebühr), der weiter zunehmenden Separatsammlung und der Vermeidungsbemühungen der (Verpackungs-) Industrie gegenüber einer möglichen Zunahme wegen des ab dem Jahr 2000 geltenden Deponieverbotes für brennbare Abfälle.

    Kunststoffabfälle, welche rund 60% des Volumens eines Kehrichtsacks ausmachen, könnten bereits heute sinnvoll weiterverwertet werden.

    Je schwächer die Verbrennungs-Anlagen ausgelastet sind, desto teurer werden die Entsorgungskosten.

    Folgerichtig meinen die Experten, auf den Bau zusätzlicher Anlagen zur Kehrichtverbrennung solle zurzeit zu Gunsten einer besseren Auslastung der bestehenden Anlagen verzichtet werden.

    "Entsorgungssicherheit" ist gewährleistet

    Entscheidend ist aber, dass künftig die Koordination zwischen den verschiedenen Akteuren innerhalb der Abfallwirtschaft verbessert wird. Es müssten sowohl über Kantonsgrenzen hinweg ökonomisch und ökologisch sinnvolle Lösungen gesucht werden. Über Verbundlösungen zwischen privaten und öffentlichen Unternehmungen müsste die Effizienz der Entsorgung sowohl bezüglich Auslastung der Anlagen wie auch bezüglich der Transporte gesteigert werden. Kantone sind als Koordinationseinheiten offensichtlich zu klein bzw. die Abfallmengen zu gering für wirtschaftlich und ökologisch optimale Lösungen. Kleinräumigkeit ist in der Abfallversorgung zu teuer.

    Parallel dazu, wird von Experten kommentiert, müssten die öffentlichen Subventionen an Anlagen abgebaut, Kostenwahrheit realisiert und die Betriebsrechnungen der Anlagen offengelegt werden.

    So müssten in einem teilweise liberalisierten Entsorgungsmarkt Wiederverwendungs- und Wiederverwertungslösungen gegenüber der Verbrennung konkurrenzfähiger werden.

    Dabei sind die Stellungnahmen des zuständigen Bundesamtes für Umwelt, Wald und Landschaft Buwal oft widersprüchlich:

    So äusserte sich Buwal Direktor Fahrni in einem Interview zum Transport von Abfällen:

    " Wenn wir bejahen, dass wir Mineralwasser aus Südfrankreich trinken, Erdbeeren und Kiwis über den Ozean transportieren, ist die Frage nach dem Transport von Kehricht über 40 Kilometer geradezu läppisch."

    Gemäss der jüngsten BUWAL Abfallstatistik 1998 fielen im Jahr 1996 ca. 3.14 Mio. Tonnen an brennbaren Abfällen an, welche entweder per KVA entsorgt wurden oder auf der Deponie landeten (Diese Zahl wird allerdings von Fachleuten als zu hoch beurteilt). Dem gegenüber standen im selben Jahr gemäss Buwal genau 3'148'626 Tonnen an Abnahme-Kapazität in den KVA zur Verfügung.

    Nicht eingerechnet sind hier weitere 173'000 Tonnen an Abnahmekapazitäten, welche 1996 im Bau standen (Erweiterungen von KVA). Ebensowenig eingerechnet sind dabei die Offerten der Zementwerke, welche sofort rund 150'000 Tonnen brennbare Abfälle (Kunststoffe, Oel, Zellulose- Fabrikate etc.) zusätzlich als alternative Brennstoffe annehmen würden. Die zur Zeit vorhandenen Kapazitäten genügen (inkl. Reservekapazitäten) also auch gemäss Buwal vollumfänglich zur Verwertung aller in der Schweiz anfallender Haushaltabfälle auch nach dem Jahr 2000.

    Ungeachtet der Aussagen seines Amtskollegen und der Berechnungen seines Amtes äusserte der Buwal Direktor Philippe Roch gegenüber der Presse (vgl. "Der Bund", 30. 1. 1999):

    "Wir haben nichts gegen die Fortsetzung der Planung bei einzelnen Projekten." Er spreche aber nur von den Planungen, nicht vom Bau.

    Dabei hatte Buwal Direktor Roch im damaligen Zeitpunkt offensichtlich übersehen, dass sich die KVA Thun in Kürze nicht mehr in der Planungs-, sondern bereits in der Baubewilligungsphase befinden würde.

    Umweltbelastung am Standort Thun

    Abgesehen vom fehlenden Bedarf ist auch der geplante Standort für die KVA inmitten von Wohngebieten eine krasse Fehlplanung. Die Stadt Thun ist punkto Luftbelastung schon heute Massnahmenplangebiet, d.h. dass diesbezüglich alles unternommen werden müsste, um eine zusätzliche Luftbelastung zu vermeiden. Verursacher von Schadstoffbelastungen bei KVA sind einerseits die Rauchemissionen der Verbrennung, andererseits die Abgase des dadurch geschaffenen Mehrverkehrs.

    Eine weitere ungelöste Frage beim Projekt KVA Thun ist die des Grundwassers. In einer rechtsgültigen Grundwasserschutzzone eine KVA zu bauen, ist zwar technisch nicht unmöglich, verteuert aber durch die zu treffenden Schutzmassnahmen gemäss Schutzzonenreglement den Bau und somit den Betrieb beträchtlich. Risiken und mögliche Unfälle sind nicht auszuschliessen. Das räumen selbst die KVA Projektanten ein.

    Das Trinkwasser der Stadt Thun wird in unmittelbarer Nähe des geplanten KVA-Standorts in Flussrichtung abwärts gefasst. Die Folgen einer allfälligen Katastrophe würden sich verheerend auf die Trinkwasserversorgung der Region auswirken.

    Die Kleine Allmend als Standort für die geplante Anlage liegt zwischen dem Wohnquartier Lerchenfeld (400m) und dem Stadtzentrum von Thun; die KVA befände sich unmittelbar neben Unterkünften des Waffenplatzareals: Der gewählte Standort ist punkto Schadstoffemissionsradius denkbar ungeeignet.

    Mediziner aus der Region Thun warnen vor der zusätzlichen Belastung mit Schwebestaub (PM 10), CO2 und Schwermetallen, insbesondere auch unter der Berücksichtigung der meteorologischen und geographischen Verhältnisse des vorgesehenen Standortes.

    Verbrennung möglichst vermeiden

    Umwelt-Fachleute im In- und Ausland raten heute generell davon ab, bei der Kehrichtentsorgung alles auf die Karte "thermisches Verfahren" zu setzen. Oft wird auch verschwiegen, dass Abfälle durch die Verbrennung in teils hochgiftige gasförmige Stoffe (Dioxin) umgewandelt und in unkontrollierbarer Form in der Luft abgelagert, also "deponiert" werden.

    Staubpartikel und säurebildende Gase werden mit dem Regen ausgewaschen und gelangen auf diese Weise auf den Erdboden zurück. Durch die Verbrennung einer Tonne Kehricht wird der Sauerstoff von rund 2500 Kubikmeter Luft in CO2 umgewandelt. Dies entspricht dem gesamten über einem Quadratmeter Boden bis zur Höhe von 8000 Metern enthaltenen Sauerstoff.

    Sodann fällt in der Verbrennung rund ein Drittel der Kehrichtmenge wieder als toxische Schlackenabfälle an, welche als Sondermüll behandelt werden muss, z.B. in ausländischen Untertagdeponien.

    Ein ernst zu nehmendes Entsorgungsproblem stellen die hochgiftigen Filterrückstände dar, die bei der Verbrennung anfallen. Davon entstehen jährlich in der Schweiz immerhin ca. 50'000 Tonnen. Diese gelten als Sondermüll und müssen mit grösster Vorsicht entsorgt werden. Eine neuartige Möglichkeit der Behandlung solcher Filterstäube besteht in thermischen Verfahren. Diese Verfahren sollen die Filter-Rückstände neutralisieren und Schwermetalle von der Filterasche bei einer Temperatur von ca. 900°C abtrennen. Der Entgiftungprozess würde einer konventionellen KVA nachgeschaltet, indem er Abgase, Wärme und Salzsäure nutzt, die bei der Kehrichtverbrennung anfallen.

    Mehrere Anhaltspunkte und Auskünfte von Fachstellen deuten darauf hin, dass man in der KVA Thun eine derartige Sondermüllverbrennung realisieren könnte und möchte. Auf entsprechende Fragen an die Projektanten erhielt Pro Regio Thun jedenfalls keine klaren Antworten.

    Studie "vergleichende Ökobilanz" der AVAG

    Fängt für die Auftraggeber der besagten Studie die Ökologie erst an, nachdem die zum Teil über Tausende von Kilometern herangebrachten Waren zu Abfall geworden sind? Wenn eine in der Schweiz hergestellte Kinderpuppe Fr. 100.-- kostet, eine im Fernen Osten hergestellte, trotz dem langen Transportweg, nur Fr. 50.-- spricht niemand von Puppentourismus. Sobald aber Abfälle über 40 Kilometer transportiert werden, bezeichnen dies die kantonalen KVA - Planer gerne als "Abfalltourismus".

    Die von der AVAG in Auftrag gegebene "vergleichende Ökostudie" ist als Grundlage für eine ökologische Beurteilung der KVA Thun irreführend und untauglich. Sie beleuchtet nämlich nicht die gesamten ökologischen Aspekte im Zusammenhang mit dem Projekt (obschon sie vorgibt, dies zu tun), sondern einzig und allein die möglichen absoluten Emissionen einer Transportlösung. Sie ist als Gefälligkeitsgutachten zu bewerten.

    Sinngemäss behauptet die Studie der KVA Projektanten nämlich:

    Je mehr Verbrennungsanlagen aufgestellt würden, desto ökologischer sei dies (!), da in diesem Fall die Transportemissionen immer kleiner würden. Wahrlich eine schwer nachvollziehbare Auffassung von Ökologie.

    Seit über einem Jahr verlangt Pro Regio Thun nachdrücklich die Erstellung einer Studie durch unabhängige Stellen, worin die Optimierungsmöglichkeiten des Kehrichts in der AVAG Region ganzheitlich untersucht würden. Insbesondere müsste darin auch die Variante "kalte Restmüllbehandlung", "Kompostierung", "Angebot der Zementwerke" und "Ausbau der Separierung" (z. B. von Kunststoffabfällen) betrachtet werden. Zudem müssten auch geografische Aspekte in der AVAG Region berücksichtigt werden: Aus Thun und Steffisburg stammen nämlich nur rund 10%, d.h. ca. 10'000 Tonnen der insgesamt im AVAG Gebiet anfallenden Siedlungsabfälle. Weder der Thuner Gemeinderat, noch die Kantonsregierung noch die AVAG hat sich bislang zustimmend zur Durchführung einer solchen Studie geäussert.

    Kosten

    Ökonomische und realistische Alternativen zum Bau einer kostspieligen KVA Thun existieren: Es liegen mehrere Verhandlungsofferten von Verbrennungsanlagen vor, welche äusserst interessante Abnahmepreise garantieren. Ausserdem hat sich die Firma ACTS, eine Tochterunternehmung der SBB, bereit erklärt, die logistischen Aspekte (Transport, Verteilung, Umlad) zu günstigen Konditionen zu gewährleisten.

    Das Umweltschutzgesetz fordert unmissverständlich eine enge Zusammenarbeit der Kantone und verlangt den Abbau von Überkapazitäten im Abfallwesen.

    Erst seit kurzem betonen die KVA Projektanten die Kostenfrage. Eine Exportlösung sei teurer als die eigene Verbrennung, heisst es. Dabei wird oft "vergessen" dass die Kosten der Verbrennung in der mittlerweile "gestorbenen" Schwelbrennanlage deutlich höher (Fr. 270.-- /Tonne und höher) gewesen wären, als die derzeit diskutierten Exportkosten. "Umweltschutz hat seinen Preis" schrieb die AVAG 1997 in ihrer Propaganda-Publikation "Fakten". Der Mehrbetrag einer Gebührenerhöhung rechtfertige sich aber "mit dem Nutzen für die Umwelt".

    Wenn also bis zum Scheitern der SBA Thun vor wenigen Monaten noch eine sehr teure Schwelbrennbehandlung finanziell zumutbar gewesen ist, kann die Variante "Export" (Fr. 265.-- /Tonne) wohl kaum jetzt als zu teuer bezeichnet werden.

    Ungeklärt ist ausserdem, weshalb auf jede Tonne künftigen Abfall noch ein Betrag von Fr. 43.-- für die Nachsorge (= Überwachung, Wiederinstandstellung, Rekultivierung etc.) der drei zur Zeit bestehenden AVAG Deponien hinzuaddiert werden soll. Während andere Deponien im Hinblick auf das Deponieverbot im Jahr 2000 längst die notwendigen finanziellen Rückstellungen für ihre Nachsorgekosten getätigt haben, hat es die AVAG offensichtlich unterlassen, die vom Kanton als Nachsorgegelder geforderten 50 Millionen Franken frühzeitig sicherzustellen. Es besteht nun also die Gefahr, dass die Bevölkerung für die fehlenden Nachsorgegelder nachträglich geradestehen muss: Ein Vorgehen, welches unhaltbar ist und dem Verursacherprinzip widerspricht.

    Angesichts der grossen Defizite und der Überschuldung des kantonalen Staatshaushaltes und angesichts der bereits beim ersten (gescheiterten) Projekt SBA erlittenen finanziellen Verluste in Millionenhöhe stellt sich die Frage, ob sich der Kanton Bern eine Kehrichtverbrennungsanlage Thun, deren Wirtschaftlichkeit heute auf unbewiesener Grundlage steht, überhaupt leisten kann.

    Zusehends wächst die Einsicht, dass ohne Berücksichtigung der sozialen und gesellschaftlichen Aspekte jedes Abfallwirtschaftskonzept zum Scheitern verurteilt ist. Neben den (umwelt-) technischen und den ökonomischen Aspekten sind die sozialen Belange für die öffentliche Abfallentsorgung und für die damit verbundene Entscheidfindung von grosser Wichtigkeit. Nur eine Abfallwirtschaft, die dem in der Planung und Realisation ihrer Projekte Rechnung trägt, wird sich als zukunftsfähig erweisen.

  4. Fazit

    Das Spar- und Reduktionspotenzial im Abfallwesen ist heute insbesondere auch in der AVAG-Region bei weitem nicht genügend ausgeschöpft.

    Es besteht keine Notwenigkeit zum Bau der KVA Thun; einmal mehr sollen behauptete Sachzwänge über den gesunden Menschenverstand dominieren. Kein Wunder, ist das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Projektanten bei der Bevölkerung geschwunden.

    Eine ökologisch und ökonomisch sinnvolle Lösung beinhaltet zwingend eine ganzheitliche Betrachtungsweise. Die überstürzte Planung für die KVA Thun zielt nicht auf eine Verminderung des Kehrichts ab, sondern einseitig auf die Zementierung des Ist- Zustandes.

    In autoritärer Manier soll in Thun ein Prestigeprojekt durchexerziert werden, dessen Resultat (wie auch immer es ausfallen wird) am Ende mit öffentlichen Mitteln berappt werden muss.

  5. Vorschlag: Vorgehen in 5 Schritten

    a) Handlungsbedarf Projekteinstellung
    Um den Forderungen von politischer Seite, von Fachleuten sowie von weiten Teilen der Bevölkerung Rechnung zu tragen und um eine unkontrollierbare Kostenexplosion ins Unermessliche rechtzeitig zu vermeiden, ist der unverzügliche Stopp des Baubewilligungsverfahrens für das Projekt KVA Thun anzuordnen. Es ist bis auf weiteres ein KVA Moratorium anzustreben. Dadurch würde die notwendige Zeit für eine Standortbestimmung und zur ernsthaften Prüfung von Alternativen gewonnen.

    Selbst der Sekretär des Verbandes Betriebsleiter Schweizerischer Abfallbehandlungsanlagen, VBSA, Werner Ryser, befürwortete anfangs September 1998 ein KVA-Moratorium: "Wir brauchen Zeit, um die Tendenzen besser abschätzen zu können." (vgl. Zeitschrift Facts vom 09.09.1998).

    b) Einsetzen einer neutralen Arbeitsgruppe
    Die zuständigen Behörden setzen eine paritätische Arbeitsgruppe / Kommission ein, mit dem Auftrag, die Möglichkeiten der Optimierung des Abfallkreislaufs in der AVAG Region zu prüfen. Durch offene Information der Bevölkerung durch die Behörden wird die notwendige Akzeptanz für das Projekt erreicht.

    c) Erstellen einer Machbarkeitsstudie

    Die Arbeitsgruppe/Kommission beauftragt aussenstehende, neutrale Fachleute zur Erarbeitung des Konzepts für ein ganzheitliches, zeitgemässes Abfallmodell unter Berücksichtigung von ökologischen, ökonomischen und geografischen Gesichtspunkten.

    Im Auftrag erarbeitet diese Umwelt- und Abfallberatungsstelle anschliessend eine Machbarkeitsstudie aufgrund von bereits vorliegenden Tatsachen sowie von neuen Erkenntnissen. Ferner soll auch die bundesweite Abfallplanung darin einbezogen werden.

    d) Vernehmlassung / Beschluss
    Das neue Konzept soll durch ein demokratisches Vernehmlassungsverfahren (inkl. Volksabstimmung) laufen und wesentliche Verbesserungen laufend berücksichtigen.

    Durch die zuständigen Instanzen wird der Beschluss zur Realisierung der gewonnenen Erkenntnisse gefasst. Die Ausführung erfolgt innerhalb kurzer, aber vernünftiger Frist.

    e) Begleitete Realisierung

    Es ist anzustreben, dass die Realisierung des optimierten Konzepts in transparenter Form geschieht, dies unter regelmässigem Einbezug von Fachleuten und neuesten Erkenntnissen. Es muss sichergestellt sein, dass die erzielten Fortschritte in Form von verbesserter Lebensqualität der Bevölkerung zu Gute kommen.

    Schliesslich soll das optimierte Abfallkonzept Vorbildcharakter erhalten und als Musterbeispiel auch für andere Regionen dienen.


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Dieses Arbeitspapier "Kehrichtperspektiven IIa" kann beim Sekretariat Pro Regio Thun gegen einen Unkostenbeitrag von Fr. 5.-- bezogen werden.

Bei diesen Stellen ist auch das 1997 erschienene erste Arbeitspapier "Kehrichtperspektiven: Das Thuner Abfallmodell" erhältlich.


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18.05.1999