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HandelsZeitung: 3. April 2002, Nummer 14
Unberechenbare Abfallwirtschaft

Kehrichtverbrennungsanlagen - Niemand kann mit Sicherheit voraussagen, ob es hier zu Lande bald zu wenige oder zu viele Verbrennungsanlagen haben wird. Denn es fehlt die nationale Symbiose am Abfallberg.

Zu viel Verbrennungskapazität ist unwirtschaftlich. Zweimal gingen Gegner regionaler KVA-Projekte mit dieser Befürchtung bis vor Bundesgericht. Sofern sich die Bundesrichter aufs Abfallszenario des Bundesamtes für Umwelt, Wald und Landschaft (Buwal) stützten, fiel ihnen der Entscheid zu Gunsten neuer Kehrichtverbrennungsanlagen (KVA) in Thun und Lausanne leicht: Die Einführung der Gebührenpflicht drückte die Abfallmenge, die in KVA anfiel, bis 1996 zwar herunter, aber ab 1999 stieg sie mit anziehender Konjunktur wieder auf über 3 Mio t.

Derweil hinkte die Verbrennungskapazität stets hinterher. Letztes Jahr mussten trotz bundesrätlichem Deponieverbot noch 220000 t Abfall abgelagert werden. Wegen Aufhebung der Deponien und zur Schaffung von Reservekapazitäten soll die Schweiz bis 2005 deshalb ihre Verbrennungskapazität auf 3,47 Mio t steigern. Im Wortlaut des Buwal: "Es braucht drei neue mittelgrosse KVA", also die geplanten Projekte in Thun, Lausanne und im Tessin.

Der Verband der Betreiber Schweizerischer Abfallbehandlungsanlagen (VBSA) hält sich zwar ans Buwal-Szenario, aber dessen Sekretär Peter Steiner warnt: "Wenn zu den Neubauten noch alle regionalen Projekte zum Ausbau bestehender Anlagen realisiert werden, ist es des Guten zu viel."

Zweifel am Amt
Genau an diesem wunden Punkt haken die KVA-Gegner ein, die in den letzten Jahren versuchten, neue Öfen zu verhindern. Um an den Buwal-Zahlen zu zweifeln, genügt eine einfache Rechnung: 2002 geht beispielsweise die neue KVA Fribourg voll in Betrieb, ebenso eine revidierte Linie in Hinwil und 2003 die neuen Öfen in Monthey und Zuchwil. Alles in allem entstehen neben geplanten Neubauten weit über 100000 t erweiterte Verbrennungskapazitäten. Ausserdem soll die bessere Verwertung von Kunststoffabfällen mittelfristig eine Reduktion des Abfallberges um rund 150000 t bringen. Beides würde die noch zu deponierenden Mengen kompensieren. Zudem zeigen die Abfallzahlen von 2001 einen Rückwärtstrend um 1,5%. Wozu also drei neue Anlagen bauen?

Für Margit Rauber, eine der Thuner KVA-Gegnerinnen der ersten Stunde, ist das "Mist- statt Abfallwirtschaft". Ihr Misstrauen führt so weit, dass sie dem Buwal unterstellt, die Abfallmengen der 90er Jahre nach unten korrigiert zu haben, um nachträglich den Verbrennungsbedarf für ein steigendes Abfallsoll zu rechtfertigen. Die Thuner SVP-Nationalrätin Ursula Haller spricht bezüglich der dortigen KVA-Planung von einem "Skandal ohne Ende", der auf dem Boden "manipulierter Buwal-Zahlen" gewachsen sei. Dass ihre Region mit 300 000 Einwohnern keine eigene Anlage hat, stört sie nicht, denn schliesslich, so argumentierte sie unlängst in der nationalrätlichen Fragestunde, habe der Bundesrat die Kompetenz, die Regionen so einzuteilen, dass bei der Auslastung der bestehenden KVA keine Überkapazitäten und nur möglichst kleine Transportwege entstehen.

Auf die Frage, ob dies so einfach ist, gibt es keine eindeutige Antwort. Buwal und VBSA scheinen in ihren Prognosen mit mehreren unberechenbaren Variablen umgehen zu müssen, die den Idealfall einer verursachergerechten und obendrein wirtschaftlichen Auslastung sämtlicher KVAs schier verunmöglichen.

Unsichere Variablen
Erstens: Die Abfallmenge hängt von der Konjunktur ab. "1998 stieg die Menge um 10%, dann stabilisierte sie sich, und jüngst ging sie um 1,5% zurück", erklärt Marc Chardonnens vom Buwal. Für die kommenden Jahre geht man in Bern von zwei Szenarien aus; gleichbleibende Menge oder allenfalls eine jährliche Zunahme von 1%. "In beiden Fällen brauchen wir drei neue KVAs." Realistischer könne man nicht rechnen, meint auch VBSA-Sekretär Steiner. Schliesslich würden Konjunkturprognosen manchmal quartalsweise korrigiert und: "Schon 3% mehr Abfall bedingten - für sich alleine gerechnet - eine KVA."

Zweitens: Die Abfallmenge unterliegt saisonalen Schwankungen. Wenn man die Jahresleistung aller KVA zusammenzählt und durch das Abfallaufkommen teilt, schauen tatsächlich Überkapazitäten heraus. Diese Rechnung geht nach Steiner aber nicht auf. Einerseits weil die Abfallmengen in den KVAs monatlich zwischen plus und minus 8%, jene auf den Deponien sogar um 30% variieren. Deshalb müssen KVAs Reservekapazitäten haben, die laut Empfehlung des VBSA auf 5% gesteigert werden sollten, wenn die Deponien wegfallen. Reservekapazität braucht es anderseits auch, um einzelne Öfen revidieren oder Störfälle in anderen KVAs kompensieren zu können. Aufgrund dieser Überlegungen sind sich VBSA und Buwal einig, dass die Bewältigung des Deponieaufkommens und die Gewährleistung von 150000 t Reservekapazität den geplanten Bedarf rechtfertigen.

Drittens: Der Vollzug der Abfallwirtschaft liegt bei den Kantonen. Bis 1997 hat der Bund den Bau neuer Anlagen noch subventioniert. Heute müssen die Kantone, Gemeinden oder Kehrichtverbände die rund 200 Mio Fr. für eine KVA alleine finanzieren. "Wir plädieren überall dafür, dass die Regionen ihre Abfallwirtschaft noch mehr koordinieren", betont Steiner. Aber ein wirtschaftlich sinnvoller Ausgleich zwischen West- und Südschweiz, wo zu wenig Öfen betrieben werden, und dem östlichen Landesteil, wo genügend Kapazitäten vorhanden sind, stösst an ökologische Grenzen.

Offensichtlich ist die Symbiose zwischen Verursachergerechtigkeit und Abfallwirtschaftlichkeit noch nicht gefunden. Verursachergerecht wäre es, die KVAs nach föderalistischem Abfallaufkommen zu positionieren, rein wirtschaftlich die Müllentsorgung von Genf bis St. Gallen aus einem Topf zu finanzieren. Weil die Kantone in eigener Verantwortung bauen, die meisten Romands keine direkte Abfallgebühr bezahlen und die St.Galler nach Buwal-Statistik doppelt so viel Güder pro Kopf anliefern wie die Urner, wird sich in diesem Land weder die gesetzliche Forderung noch der Anspruch der KVA-Gegner verwirklichen lassen.

Thomas Möckli

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08.04.2002